Das Märchen von Chinas Überkapazitäten

Erst war es die „Entkopplung“, dann das „De-Risking“, jetzt ist es die „Überkapazität“: Die Regierungen der USA und EU finden problemlos Narrative, die ihre geopolitische Feindschaft zu China rechtfertigen sollen. Während seines jüngsten Chinabesuchs sprach US-Außenminister Antony Blinken über Chinas „unfaire Handelspraktiken“ und potentielle Folgen der „industriellen Überkapazitäten“ für den US- und Weltmarkt. Kurz zuvor hatte US-Finanzministerin Janet Yellen in China den gleichen Ton angeschlagen, und EU-Kommissionschefin von der Leyen hielt Präsident Xi sogar während seines Besuchs in Frankreich einen Vortrag über „Überkapazitäten“. Der Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit, den Mario Draghi der EU im Juni nach der Europawahl vorlegen wird, wird China ebenfalls für „Überkapazitäten“ verantwortlich machen.

Im Mittelpunkt stehen dabei Chinas Exporte im Bereich der „neuen Energien“, wie Elektrofahrzeuge, Solarpaneele usw., die angeblich dank staatlicher Subventionen die europäischen und US-Märkte überfluten.

Der Begriff „Überkapazitäten“ soll ein Ungleichgewicht zwischen Nachfrage (geringer) und Angebot (größer) bezeichnen, wird aber oft mißbraucht. Gemessen an der weltweiten Energienachfrage gibt es Unterkapazitäten – besonders in Afrika, wo etwa 600 Millionen Menschen keinen Stromanschluß haben, die meisten in Ländern südlich der Sahara. Für ihre Elektrifizierung müssen sie Technologie aus den Industrieländern importieren. Das ist keine Überkapazität, sondern Export von Investitionsgütern.

Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Lin Jian, gab auf seiner Pressekonferenz am 30.4. auf eine Frage von Xinhua eine ähnliche Antwort: „Der Vorwurf von Chinas ‚Überkapazität‘ mag wie eine wirtschaftliche Debatte aussehen, aber in Wahrheit beruht er auf einer falschen Logik und ignoriert mehr als 200 Jahre der Grundidee des Wettbewerbsvorteils in der westlichen Wirtschaft. Alle Länder produzieren und exportieren Produkte, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, das liegt in der Natur des internationalen Handels. Wenn man einem Land Überkapazitäten vorwirft und von ihm verlangt, daß es seine Kapazitäten abbaut, wenn es mehr produziert als seine Inlandsnachfrage, womit sollten die Länder dann handeln? Wenn der Export von 12% der in China hergestellten Elektroautos als Überkapazität bezeichnet wird, was ist dann mit Deutschland, Japan und den USA, die 80, 50 bzw. 25% ihrer Automobile exportieren? Wäre das nicht eine bedenklichere Überkapazität? … Wenn die weltweite Kapazität immer noch weit unter der Marktnachfrage liegt, wie kann es dann eine Überkapazität geben?“

In Wirklichkeit sind diese Angriffe auf China unbegründet und geopolitisch motiviert. Bei den E-Autos erleidet der chinesische Absatz das gleiche Schicksal wie die europäischen Hersteller. Wie das Handelsblatt berichtet, hat der chinesische Produzent BYD im März in Deutschland ganze 160 Fahrzeuge verkauft. Zusammen mit 139 im Januar und 94 im Februar hat BYD somit im 1. Quartal 2024 mit insgesamt 393 E-Fahrzeugen den deutschen Markt „erobert“! Der Anteil am gesamten Automarkt in Deutschland liegt kaum über 0%. Die Lager im Hafen von Bremerhaven sind seit Wochen voll mit unverkauften BYD-Wagen. Auch für die deutschen E-Autobauer sieht es nicht gut aus, im März sind die Verkäufe im Vergleich zum Vorjahr um 30% eingebrochen. Höchstwahrscheinlich ist der Markt für Elektroautos bereits gesättigt, und jetzt geht es nur noch um Nischen.

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