In der SPD regt sich Widerstand gegen die Kriegspolitik der Grünen
Bei allen Meinungsverschiedenheiten in der zerrissenen Regierungskoalition in Berlin war das einzige, was die drei Parteien zusammenhielt, ihre bedingungslose Unterstützung der Ukraine (d.h. der NATO) gegen Rußland. Doch selbst dieser kleinste gemeinsame Nenner steht nun in Frage, wie die Reaktion einiger führender Sozialdemokraten (SPD) auf die uneingeschränkte Zustimmung von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu den US-Plänen zur Stationierung neuer Langstreckenraketen in Deutschland zeigt. Am 21.7. hatte Baerbock Washingtons Position mit den Worten unterstützt: „Die traurige Wahrheit ist: Putins Rußland ist derzeit die größte Sicherheitsgefahr für uns und unseren Frieden in Europa“, deshalb wäre eine Ablehnung der Stationierung der neuen Waffen nicht nur unverantwortlich, sondern „naiv“.
Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz, warnte daraufhin: „Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich.“ Die fraglichen Raketen „haben eine sehr kurze Vorwarnzeit und eröffnen neue technologische Fähigkeiten“. Mützenich ist der wichtigste Sprecher der (etwas inkonsequenten) Antikriegsströmung in der SPD, die Baerbocks Politik ablehnt.
Schon im Frühjahr, als die grüne Außenministerin die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine befürwortete, hatte Mützenich kritisiert: „Ist es nicht an der Zeit, daß wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später beenden kann?“
Reibereien innerhalb der Regierungskoalition zeigen sich auch zwischen den Grünen, die letzte Woche für Ursula von der Leyens Wiederwahl als Präsidentin der Europäischen Kommission stimmten, und der FDP, die wegen einer anderen Haltung zur Verschuldung und zum freien Markt (nicht wegen der Rußland- und China-feindlichen Politik) gegen sie stimmte. Dagegen zeigte die Wahl eine Annäherung der Grünen an die Christdemokraten (CDU), was Gerüchte über eine mögliche schwarz-grüne Regierung in Berlin nach der Bundestagswahl 2025 nährte. Beide Parteien teilen die bedingungslose Unterstützung für die Ukraine, die Anti-Rußland-Strategie der EU sowie den Atomausstieg und den Verzicht auf russisches Erdgas. Der rapide Rückgang der Wählerunterstützung für die Grünen, der an massiven Verlusten bei der Europawahl sichtbar wurde, bedeutet jedoch, daß sie möglicherweise nicht einmal in der Lage sein werden, 2025 eine Regierungskoalition zu bilden.
Aber auch die SPD mußte einen drastischen Stimmenverlust hinnehmen. Und nur noch ein Drittel der Parteimitglieder befürwortet eine Wiederwahl von Kanzler Scholz, dessen Umfragewerte auf 15% gesunken sind. Daß er offen zugegeben hat, daß die Stationierung der US-Langstrecken-Präzisionsraketen auf deutschem Boden eine alleinige Entscheidung Washingtons war, und damit jeden Anschein von Souveränität aufgegeben hat, dürfte seine Popularität ebenfalls nicht erhöhen.