„Anatomie eines Völkermords“: Die Erkenntnisse einer UN-Sonderberichterstatterin über Gaza

Es sei eindeutig ein Völkermord, erklärte Francesca Albanese, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten, am 26.3. vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. „Nach fast sechs Monaten unerbittlicher israelischer Angriffe auf den besetzten Gazastreifen ist es meine feierliche Pflicht, über das Schlimmste zu berichten, wozu die Menschheit fähig ist, und meine Erkenntnisse darzulegen.“

Sie erklärte: „Die Geschichte lehrt uns, daß Völkermord ein Prozeß ist, keine einzelne Tat… Es beginnt mit der Entmenschlichung einer Gruppe, der Leugnung der Menschlichkeit dieser Gruppe, und endet mit der vollständigen oder teilweisen Vernichtung der Gruppe. Die Entmenschlichung der Palästinenser als Gruppe ist das Markenzeichen ihrer Geschichte – der ethnischen Säuberung, der Enteignung und der Apartheid.“

Albanese berichtete über die Fakten vor Ort und fuhr dann fort: „In Anbetracht dessen gibt es meiner Meinung nach vernünftige Gründe für die Annahme, daß die Schwelle der Begehung des Verbrechens des Völkermords an den Palästinensern als Gruppe erreicht ist. Insbesondere hat Israel drei Akte des Völkermordes mit dem erforderlichen Vorsatz begangen – indem es Mitgliedern der Gruppe schweren körperlichen oder geistigen Schaden zufügte, der Gruppe vorsätzlich Lebensbedingungen auferlegte, die ihre vollständige oder teilweise physische Zerstörung herbeiführen sollten, und Maßnahmen verhängte, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollten. Der Völkermord in Gaza ist die extremste Stufe eines langjährigen kolonialen Prozesses der Auslöschung der einheimischen Palästinenser… Es war eine Tragödie mit Ansage.“

UN-Generalsekretär António Guterres setzt sich intensiv für einen dauerhaften Waffenstillstand ein. Am 5.4. prangerte er erneut den „katastrophalen Hunger“ an, der den Bewohnern des Gazastreifens als Teil der „kollektiven Bestrafung des palästinensischen Volkes“ aufgezwungen wird. Er sei zutiefst beunruhigt über Berichte, wonach das israelische Militär künstliche Intelligenz einsetzt, um mutmaßliche Hamas-Kämpfer zuhause bei ihren Familien anzugreifen, was zu einer großen Zahl ziviler Opfer führe.

Die gezielte Tötung von sieben ausländischen Entwicklungshelfern der World Central Kitchen (WCK) durch die israelischen Streitkräfte am 1.4. löste weltweit Proteste aus, auch in Israel. Nach wochenlangen Protesten von Antikriegs- und Menschenrechtsgruppen sowie Familien der Geiseln, die noch immer von der Hamas festgehalten werden, schlossen sich am 7.4. in Israel 50.000 Menschen den Demonstrationen an und forderten die Regierung auf, die Freilassung der Geiseln sicherzustellen. Der Ton war klar gegen Regierungschef Netanjahu gerichtet.

Sogar im US-Kongreß schickte eine Gruppe von 37 demokratischen Abgeordneten einen Brief an Präsident Biden und Außenminister Blinken, in dem sie einen Stopp der US-Waffenlieferungen an Israel fordern, bis die Untersuchung des Angriffs auf den WCK-Konvoi abgeschlossen ist. Es ist zwar abstoßend, daß sie erst handeln, wenn es um westliche Menschenleben geht, dennoch ist die Wirkung nicht zu unterschätzen.

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, daß ihre überwältigende internationale Isolierung die Netanjahu-Regierung – mit Ausnahme von Washington und einigen europäischen Hauptstädten – zur Beendigung des Völkermords bewegt, aber der Widerstand wird weiter wachsen. Die Gefahr besteht im Szenario vom „abtrünnigen Verbündeten“, indem eine Ausweitung des israelischen Krieges auf den Libanon und den Iran benutzt wird, um die USA und möglicherweise die NATO in einen größeren regionalen Krieg hineinzuziehen.

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