Wie das chinesische Entwicklungsmodell auf Entwicklungsländer anwendbar ist

Die konventionelle Wirtschaftstheorie des Westens „kann keine kohärente Erklärung für Chinas rasanten Aufstieg liefern“, erklärte Professor Wen Yi, Makroökonom und ehemaliger leitender Forscher bei der Federal Reserve Bank der USA, am ersten Tag der Online-Konferenz des Schiller-Instituts am 15.4. (vgl. SAS 16, 17-23). Er präsentierte dann seine fundierte Ansicht zu dem Thema, die wir im folgenden nur grob zusammenfassen können.

Es gebe viele Ähnlichkeiten zwischen dem chinesischen Modell und dem westlichen kapitalistischen Entwicklungsmodell, sagte Prof. Wen. Drei bekannte „oberflächliche Unterschiede“ seien: 1. das Ausmaß: etwa 250 Jahre nach Beginn der industriellen Revolution leben nur 15% der Weltbevölkerung in industrialisierten Gesellschaften, während der Industrialisierungsprozeß in China allein diesen Prozentsatz um 20% erhöhen würde; 2. die Geschwindigkeit: Chinas Wirtschaftsreform begann erst vor 70 Jahren; 3. der Weg: Die westliche Industrialisierung sei voller Kriege gewesen, Chinas Weg dagegen sei friedlich verlaufen.

Trotz dieser Unterschiede, so Wen, sei die zugrundeliegende Logik sehr ähnlich und wichtig für Entwicklungsländer zu verstehen. Den Hauptgrund für Armut sieht er in der Unfähigkeit zur Massenproduktion. Ein Land müsse erst einen einheitlichen Markt aufbauen, der Massenproduktion rentabel macht. Aber was „die konventionelle Wirtschaftstheorie uns nie lehrt, ist folgendes: Der Markt selbst ist das grundlegende öffentliche Gut. Kein einzelner Bauer kann ihn hervorbringen, dieses öffentliche Gut kann also nur mit Hilfe des Staates geschaffen werden.“

Wen Yi sprach von drei Säulen, die jeder Markt brauche, um sich zu entwickeln: politische Stabilität, soziales Vertrauen und Infrastruktur (ebenfalls ein öffentliches Gut). Leider habe der Washingtoner Konsens während der Reformen der 1980er und 90er Jahre den Entwicklungsländern geraten, sich mit schwachen Regierungen zu begnügen und den Staat verkümmern zu lassen, dann würde „der Markt von selbst entstehen“. Diese Ansicht sei falsch, das könne man an den Beispielen Europas, der USA, Japans usw. sehen, die „alle dazu beigetragen haben, den Markt für ihre eigenen Unternehmen zu fördern“. Zudem müsse man den Markt schrittweise aufbauen, „nicht in einem einzigen großen Schub oder einer Schocktherapie“.

In der europäischen Geschichte habe die Kolonialisierung dazu beigetragen, einen globalen Markt zu schaffen, aber: „Chinas Erfahrung lehrt uns, daß wir Märkte auch auf friedliche Weise schaffen können, ohne den westlichen Stil des Kriegskapitalismus zu wiederholen. Das ist eine der wichtigsten Lehren, die China anderen Entwicklungsländern anbieten kann. Der Staat, die Regierung auf zentraler und lokaler Ebene, muß eine sehr wichtige Rolle spielen, um der eigenen Wirtschaft zu helfen, einen Markt für die eigene Wirtschaft zu schaffen.“

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