Westasien: Naht das Ende von Sykes-Picot?

Hundert Jahre, nachdem das britische Empire 1916 heimlich mit dem französischen Empire über die Aufteilung des „Nahen Ostens“ (Westasien) in verschiedene Kolonien und Satrapien verhandelte, könnten die diplomatischen und wirtschaftlichen Bemühungen Chinas und Rußlands diesem Jahrhundert der blutigen Teile-und-Herrsche-Strategie ein Ende setzen. Der gewalttätigste Aspekt war die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten nach der illegalen britisch-amerikanischen Invasion des Irak 2003. Die beiden regionalen Pole dieser Kluft, Iran und Saudi-Arabien, konnten sich schließlich am 10.3. dank Chinas Vermittlung einigen (vgl. SAS 11/23), die diplomatischen Beziehungen wiederherzustellen, die seit 2016 abgebrochen waren.

Wichtig zu erwähnen ist, daß es nach Xi Jinpings Besuch in Saudi-Arabien, dem Iran und Ägypten 2016 fast sieben Jahre gedauert hat, bis diese Bemühungen Früchte trugen. Während die US-Regierung und die Briten versuchten, den Prozeß zu sabotieren (u.a. durch die Ermordung des iranischen Militärführers Ghasem Soleimani in Bagdad im Januar 2020, als er über den irakischen Premierminister Adel Abdul-Mahdi eine Botschaft Teherans an Saudi-Arabien überbrachte), trieb China die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit beiden Seiten und mit allen anderen Ländern der Region weiter voran. Im Zuge davon wurden mit Saudi-Arabien und dem Iran im vergangenen und diesem Jahr zwei wichtige „umfassende strategische Abkommen“ geschlossen. Xis Gipfeltreffen mit Saudi-Arabien, dem Golf-Kooperationsrat und arabischen Staatsführern im Dezember 2022 haben die Entwicklungsperspektive für ganz Westasien neu definiert.

Rußland seinerseits vermittelt Kontakte zwischen Syrien und der Türkei, um die chaotische Sicherheitslage in der nordwestlichen syrischen Provinz Idlib zu beenden, wo von den USA und der NATO unterstützte Terrorgruppen und bewaffnete Extremisten beide Länder destabilisieren. Die Präsenz der USA im Osten Syriens bleibt ein sehr destabilisierender Faktor, aber eine Einigung zwischen der Türkei und Syrien könnte die Lage unter Kontrolle bringen.

Der syrische Präsident Baschar Assad besuchte Mitte März die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), um sich nach zwölfjähriger Unterbrechung mit Staatschef Mohammed ben Zayed zu treffen. Auch ein Treffen Assads mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman ist im Gespräch. Saudi-Arabien und die VAE waren maßgeblich an der anglo-amerikanischen Regimewechsel-Operation gegen Assad seit 2011 beteiligt, doch nun hat sich das Blatt gewendet. Syrien ist auf dem besten Weg, seinen rechtmäßigen Sitz in der Arabischen Liga, den es 2011 verloren hat, wiederzuerlangen.

Auch der Jemen profitiert von dieser chinesisch-russischen Diplomatie. Letzte Woche wurde vom UN-Jemen-Gesandten der erste große Gefangenenaustausch erfolgreich vermittelt. Die Verhandlungen zwischen den Houthis in Sanaa und der von Saudi-Arabien unterstützten Exilregierung sollen bald wieder aufgenommen werden. Seit April letzten Jahres herrscht ein Waffenstillstand. Der iranische Einfluß auf die Houthis könnte dem Krieg, der im März 2015 von Saudi-Arabien begonnen wurde und schreckliche Folgen für die jemenitische Bevölkerung und Wirtschaft hat, ein Ende setzen.

So könnte das neue Paradigma der friedlichen Konfliktlösung auf der Grundlage wirtschaftlicher Zusammenarbeit und der Prinzipien des Westfälischen Friedens endlich in der Region Einzug halten.

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