Wer kollabiert zuerst: der private oder der öffentliche Sektor?

Infolge der Kreditverknappung der Europäischen Zentralbank (EZB) prognostizieren neun von zehn Ökonomen, die von der Financial Times befragt wurden (6.1.), eine Staatsschuldenkrise Italiens in naher Zukunft. Diese Prognose ist einfach angesichts der italienischen Schulden von 2,5 Bio.€, 155% des BIP, in Kombination mit den Konsequenzen der Zinserhöhung der EZB und ihrer Entscheidung, ihr Anleihen-Kaufprogramm APP ab März um 15 Mrd.€ pro Monat zu reduzieren.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß italienische Anleihen in den letzten Jahren fast ausschließlich von der EZB aufgekauft wurden, was half, die Kreditkosten niedrig zu halten. Diese Möglichkeit fällt nun weg, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierung ihren Haushalt aufstocken muß, um Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft und die Bürger zu finanzieren.

Die Regierung in Rom ist nicht naiv und überzeugt, daß Brüssel und Frankfurt die großzügige Behandlung des Kabinetts Draghi, mit niedrigen Zinssätzen und Rückendeckung der EZB, beenden will. Verteidigungsminister Guido Crosetto, der Ministerpräsidentin Meloni am nächsten steht, feuerte die Eröffnungssalve gegen die EZB ab. „Der gesunde Menschenverstand einer Hausfrau genügt, um zu verstehen, daß manche Entscheidungen negative Auswirkungen haben, weil sie die Krise verstärken.“ Daher will die Regierung die gleiche Schuldenoption wie für die Regierungen Draghi und Conte und niedrige Zinssätze wie für die Regierung Renzi, um den italienischen Familien zu helfen und eine höhere Benzinsteuer zu vermeiden. Crosetto sagte, die Zinserhöhung sei eine verständliche Entscheidung, aber es sei nicht sinnvoll, daß die EZB den Ankauf italienischer Staatsanleihen einstellt.

Beobachter fragen sich, mit welcher Wunderwaffe die Regierung Meloni die EZB offen herausfordern will, ohne wie die letzte Regierung zu enden, die dies wagte, nämlich die Regierung Berlusconi-Tremonti 2011. Damals wurde ein künstlicher Run auf italienische Anleihen inszeniert und eine Medienkampagne um eine nicht existierende Insolvenzgefahr gestartet. Infolgedessen wurde die Regierung gestürzt und durch die EU-freundliche Technokratenregierung von Mario Monti ersetzt.

Seitdem ist der Name Monti zum Synonym für Katastrophen geworden, aber die italienische Staatsführung wird der Destabilisierung nur entgehen, wenn sie begreift, welches scharfe Messer sie in der Hand hat. „Eine kleine Schuld macht dich zur Geisel deiner Bank, aber eine große Schuld macht die Bank zu deiner Geisel“, wie der Volksmund sagt. Sein finanzielles und wirtschaftliches Gewicht macht Italien zu einer Säule der Eurozone, und die Drohung mit einem Ausstieg aus dem Euro würde Frankfurt und Brüssel zu Mäßigung zwingen. Doch wenn eine Drohung glaubwürdig sein soll, muß man bereit sein, sie im schlimmsten Fall wahr zu machen.

Dabei löst die weltweite Kreditverknappung der Zentralbanken überall explosive Krisen aus. Vorboten waren die britische Anleihenkrise im November und das Platzen der Kryptowährungs-Blase im Dezember. Das neue Jahr begann damit, daß BlackRock Rücknahmen seines britischen Immobilienfonds blockierte, eine Woche zuvor hatte Blackstone das gleiche mit seinem BREIT-Fonds getan. Die Credit Suisse mußte für eine dreijährige Anleihe über 500 Mio. £ über ihre Londoner Niederlassung 435 Basispunkte anbieten.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs, und in alles Teilen des Finanzsystems zeigen sich Risse. Die Frage ist nicht, ob eine noch größere Krise als 2008 ausbricht, sondern wann – vielleicht noch bevor die italienischen Schulden zum Problem werden. Dann werden die Zentralbanken versuchen, die Schleusen billigen Geldes wieder zu öffnen.

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