Keine Beweise für Giftgaseinsatz der syrischen Regierung in Khan Sheikhoun

Der bekannte amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh hat den Lenkraketen-Angriff gegen den syrischen Luftwaffenstützpunkt Shayrat gründlich untersucht. Diesen Angriff hatte Präsident Trump am 6.4. als Vergeltung für den Chemiewaffeneinsatz im syrischen Khan Sheikhun angeordnet, bei dem Vernehmen nach mehr als 70 Menschen getötet und mehr als 550 verletzt wurden, darunter viele Zivilisten. Die Streitkräfte der Dschihadis und ihre Verbündeten hatten behauptet, dieser Giftgasangriff sei von Präsident Assad angeordnet worden – eine Behauptung, die von den internationalen Medien massiv verbreitet wurde und Trump zu dem Cruise-Missile-Angriff verleitete.

Hershs Schlußfolgerung aus seinen Recherchen, die am 25.6. in der Zeitung Die Welt in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht wurden, ist jedoch, daß die „US-Geheimdienstgemeinde… keine Beweise gefunden hat, daß die [regulären Streitkräfte der] Syrer eine Chemiewaffe eingesetzt haben“, und daß diese Feststellungen dem Weißen Haus vorgelegt, aber offenbar ignoriert wurden (siehe ).

Hersh berichtet, daß die Russen Geheimdienstinformationen an die USA weitergegeben hätten, wonach an jenem Tag in einem bestimmten Gebäude in Khan Sheikhun ein hochrangiges Treffen der Dschihadisten stattfinden sollte, und daß sie mit der syrischen Luftwaffe zusammenarbeiten würden, um das Gebäude u.a. durch den Einsatz von Lenkwaffen während dieses Treffens zu zerstören. Die an den koordinierten Bemühungen beteiligten Amerikaner spotteten über die Vorstellung, die Russen würden den Syrern helfen, einen Chemiewaffenangriff auf die Stadt durchzuführen. Wären die Flugzeuge mit Saringas bewaffnet worden, hätten die Mannschaften am Luftwaffenstützpunkt Schutzausrüstung getragen.

Nach dem Angriff erklärte ein Team der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die angeblichen Opfer des Angriffs in den verschiedenen Krankenhäusern von Khan Sheikhun hätten Symptome des Kontakts mit verschiedenen Chemikalien gezeigt, wie sie u.a. in Pestiziden und Düngemitteln zu erwarten seien. Das könnte darauf hindeuten, daß die Dschihadis in dem Lagerhaus, in dem das Treffen stattfand, verschiedene Chemikalien gelagert hatten, von denen die Angreifer nichts wußten.

Seymour Hersh fand niemanden, der dieses Exposé veröffentlichen wollte, bis sich schließlich Die Welt dazu bereit erklärte. Keine einzige amerikanische Zeitung war dazu bereit, nicht einmal der London Review of Books, der seine beiden letzten Exposés über den Krieg in Syrien und im Irak veröffentlicht hatte. Obwohl der Review auch diesmal Hershs Recherchen finanziert und die Fakten auf Richtigkeit geprüft hatte, wollte er den Artikel nicht veröffentlichen „aus Sorge, daß das Magazin sich der Kritik aussetzen würde, daß es, was den Bombenangriff auf Khan Sheikhun vom 4.4. angeht, scheinbar die Sicht der Regierungen von Syrien und Rußland übernehme.“

Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) veröffentlichte zwar am 30.6. einen Bericht, in dem behauptet wird, der Angriff sei mit Saringas durchgeführt worden, doch die ihr vorliegenden Proben waren erst später gesammelt und in der Türkei – also weit vom angeblichen Ort des Angriffs entfernt – untersucht worden. Und auf den Photos vom angeblichen Schauplatz sieht man, daß die eingesetzten Hilfskräfte keine Schutzkleidung trugen.

Das Hauptmotiv für Hershs Untersuchung war, wie er selbst schreibt, weitere ungerechtfertigte zukünftige Angriffe auf die Streitkräfte der syrischen Regierung zu verhindern, denen zu Unrecht vorgeworfen werden würde, sie hätten einen Chemiewaffenangriff durchgeführt, wobei dieser tatsächlich von den dschihadistischen Kräften verübt wurde, um einen Vergeltungsschlag gegen Syrien zu provozieren. Tatsächlich behauptete der Pressesprecher des Weißen Hauses Sean Spicer am gleichen Tag, an dem Hershs Exposé veröffentlicht wurde, die US-Regierung habe Beweise dafür, daß Assad einen neuen Chemiewaffenangriff vorbereite, und drohte erneut, damit würde eine „rote Linie“ überschritten. „Die Salafisten und Dschihadisten haben alles erreicht, was sie durch ihre aufgebauschte Geschichte über das syrische Nervengas erreichen wollten“, zitiert Hersh einen hochrangigen Geheimdienstberater.

Print Friendly, PDF & Email