EU: der Geist ist aus der Flasche

Beim „Brexit“ geht es in Wirklichkeit nicht um Großbritannien oder dessen besonderes Verhältnis zu Europa, sondern es war eine Abstimmung gegen ein System, das Verarmung, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Weltkriegsgefahr erzeugt. Deshalb kann die Lösung nicht darin bestehen, ein paar Elemente des Systems zu „reparieren“, sondern es muß im ganzen verändert werden.

Die führenden Kräfte der EU sind konfus und in der Frage, wie es weitergehen soll, gespalten. Auf der einen Seite rufen die üblichen Verdächtigen der Pro-EU-Fraktion – allerdings ziemlich defensiv – nach „mehr Europa“. So fordert der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, eine „echte europäische Regierung“. EZB-Chef Mario Draghi schickte den Regierungen einen Brief mit einem Fünf-Punkte-Plan, der an Bloomberg durchsickerte, dessen beide Hauptpunkte die Stärkung des Bankensystems (d.h. Bail-in und Bail-out) und die Beschleunigung des Integrationsprozesses sind.

Die britische Pro-EU-Fraktion, angeführt von Tony Blair, bemüht sich fieberhaft, die Brexit-Entscheidung umzukehren. Blair sagte Sky News, das Referendum habe zwar „den Willen des Volkes zum Ausdruck gebracht“, aber „der Wille des Volkes kann sich ändern“, deshalb solle man mit dem EU-Austritt so lange warten wie möglich. Parallel dazu versuchte der diskreditierte Ex-Premier, der den verhaßten Irakkrieg begann, wieder die Kontrolle über die Labour-Partei zu erringen, indem er ein Mißtrauensvotum der Labour-Abgeordneten gegen den Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn organisierte.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker brachten die Ereignisse so aus dem Gleichgewicht, daß er im Straßburger Parlament faselte: „Ich habe gesehen und gehört, daß Führer anderer Planeten beunruhigt sind, weil sie sich dafür interessieren, welchen Weg die EU künftig einschlagen wird.“ Juncker ist nun der Sündenbock für das Versagen der EU – zu Recht, aber er ist nicht der einzige.

Zu den rationaleren Stimmen gehört der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, der in einer seiner seltenen öffentlichen Aussagen erklärte, die europäische Einigung brauche eine „Atempause“, man solle die nationalen und regionalen Eigenständigkeiten und Identitäten der Mitgliedstaaten stärker achten.

Aus anderen Gründen verpaßte auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble der „Mehr-Europa“-Fraktion eine kalte Dusche und forderte, die Entscheidungsbefugnisse der Kommission einzuschränken.

Aber die Realität wird alle diese Pläne über den Haufen werfen. Als nächster Schock nach der Brexit-Abstimmung folgte die Annullierung der Präsidentschaftswahl in Österreich wegen Unregelmäßigkeiten. Der rechte Kandidat Norbert Hofer, der bei der Wahl knapp unterlag, hat angekündigt, im Falle seines Sieges werde es ein Referendum über einen EU-Austritt Österreichs geben, sobald versucht werde, den Mitgliedstaaten weitere Kompetenzen wegzunehmen. Auch in den Niederlanden gibt es eine starke Bewegung für ein Anti-EU-Referendum.

Und in Italien wird im Oktober ein Referendum über eine Verfassungsänderung stattfinden, das als Abstimmung über Regierungschef Renzi und seine Pro-EU-Politik gilt und parteiübergreifend starke Opposition mobilisiert. In der Kommunalwahl im Juni hatten bei den Stichwahlen linke und rechte Kräfte vereint gegen Renzis Kandidaten gekämpft und sie häufig geschlagen. Die Brexit-Entscheidung bedeutet Rückenwind für diese Bewegung „jeder, nur nicht Renzi“.

Kurz gesagt, der Geist ist aus der Flasche. Was immer die Eurokaten tun werden, um ihn aufzuhalten, es wird ihren Sturz nur beschleunigen.

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