Absturz der Düngemittelproduktion in Europa wegen der Energiepreise

Die rotierende tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat für den 9.9. eine Dringlichkeitssitzung zur Energiefrage einberufen. Gleichzeitig hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plötzlich die Spekulation mit Energie entdeckt und am 29.8. eine Reform des Energiemarktes in Europa gefordert. Man könnte fast sagen, sie wollen die Stalltür schließen, nachdem das Pferd schon davongelaufen ist.

Die unbezahlbaren Gas- und Strompreise treffen Unternehmen und Haushalte in ganz Europa wie mit dem Vorschlaghammer, die Rechnungen sind bis zu zehnmal höher als im Vorjahr. Wer nicht zahlen kann, muß den Betrieb einstellen.

Die Ausarbeitung und Umsetzung einer dringend notwendigen Reform des EU-Energiemarktes würde Monate dauern. Derzeit liegen zwei Vorschläge auf dem Tisch: einer aus Italien für eine Preisobergrenze und einer, wie von der Leyen vorschlägt, für die Entkopplung von Strom- und Gaspreisen. Ersteres klingt so, als wollte man „einem Tiger gute Manieren beibringen“, wie der ehemalige italienische Finanzminister Tremonti ironisch meinte, letzteres würde das Problem nur teilweise lösen.

Gleichzeitig bewirken die astronomischen Gaspreise auch eine ernste Nahrungsmittelkrise im nächsten Jahr, weil es an Düngemitteln mangelt. Dünger ist meist stickstoffbasiert und wird aus Ammoniak hergestellt, das wiederum aus Erdgas gewonnen wird. Der Preisanstieg führt zu einer Welle von Stillegungen in der europäischen Stickstoff-Düngerproduktion, die wahrscheinlich teils vorübergehend und teils dauerhaft ist.

„Mehr als 70% der europäischen Produktionskapazitäten wurden bereits abgebaut. Wenn die Situation anhält, befürchten wir, daß auch der Rest der Produzenten betroffen sein könnte“, sagte Jacob Hansen, Generaldirektor vom Verband der europäischen Düngemittelindustrie, Fertilizers Europe.

Yara, der weltgrößte Hersteller chemischer Düngemittel, kündigte am 25.8. an, die Produktion von Stickstoffdünger in Europa um 50% zu kürzen, und hat bereits an mehreren Standorten Anlagen stillgelegt. Der größte britische Hersteller, CF Fertilizers (eine Tochter der amerikanischen CF Holdings), will die Produktion in seinem Werk in Billingham vorübergehend einstellen. Im Juli wurde die Anlage in Ince in Cheshire geschlossen, die bereits im Herbst 2021 die Produktion vorübergehend eingestellt hatte.

In Polen hat die Azoty Grupa SA, der zweitgrößte europäische Hersteller von Stickstoff- und Mehrnährstoffdüngern, seine Fabriken für Stickstoffdünger, Caprolactam und Polyamid 6 (Nylon 6) geschlossen. Die Azoty-Werke in Pulawy haben die Ammoniakproduktion auf etwa 10% der Kapazität reduziert und die Produktion in den Segmenten Kunststoffe und Agro teilweise eingestellt. Der größte baltische Düngemittelhersteller, Achema in Zentrallitauen, stellt seine Stickstoffproduktion am 1.9. ein.

Top Agrar Online berichtet, daß die Produktion der SKW Stickstoffwerke im deutschen Wittenberg-Piesteritz aus technischen Gründen stillsteht. Wegen der angekündigten Gasumlage der Bundesregierung und des schwierigen Marktumfelds könnte dies jedoch noch länger andauern. Auch die BASF, das größte Chemieunternehmen der Welt, erwägt weitere Kürzungen der Ammoniakproduktion.

Ein Einbruch beim Einsatz von Düngemitteln hätte verheerende Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion. Um eine Katastrophe zu vermeiden, sollte der TTF-Gasmarkt in Amsterdam geschlossen werden, wie wir es in diesem Nachrichtenbrief schon oft gefordert haben. Aber erwarten Sie nicht, daß die EU das tut. Das Ziel der Brüsseler „Farm to Fork“-Politik ist es, die Produktion zu reduzieren.

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