Neue Dynamik in der deutschen Protestbewegung
Alle Protestaktivitäten in Deutschland – von den bekannten wie den überwiegend linken Montagsdemonstrationen bis hin zu neuen – haben in den letzten drei Wochen an Zulauf gewonnen. Den größten Zuwachs, bei der Teilnehmerzahl wie auch bei der geographischen Ausweitung, gibt es in den ostdeutschen Regionen, wo Mittelständler und Handwerker (am wirkungsvollsten die „Handwerker für den Frieden“) die Hauptakteure sind. Diese Aktionen sind meist überparteilich und, da sie kurzfristig stattfinden, auch sehr effektiv.
Am 12.10. kündigten die Unternehmer des Hotel- und Gaststättengewerbes in Mecklenburg-Vorpommern einen wöchentlichen Schweigeprotest der Belegschaften an, jeden Mittwoch um 12.05 Uhr, als Symbol dafür, daß es „5 nach 12“ ist und politische und wirtschaftliche Veränderungen zugunsten der Bürger überfällig sind. Einen Tag später veranstalteten rund 1200 Mittelständler aus mehreren Branchen einen Autokorso in neun Städten des Bundeslandes, auch in der Landeshauptstadt Schwerin.
Am nächsten Tag konnte eine ähnliche Kombination aus Mittelständlern und Handwerkern 5000 Menschen zu einer Kundgebung in Dresden vor der berühmten Frauenkirche versammeln. Dies war ein erster Durchbruch dabei, die Proteste auf größere Städte auszuweiten, wie Dresden mit seinen 500.000 Einwohnern. Am 18.10. stand dann Grimma bei Leipzig, der größten Stadt Sachsens, im Mittelpunkt des Interesses. Mit dieser Veranstaltung, an der Tausende teilnahmen, darunter der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, wurde die Beteiligung erheblich ausgeweitet, da sie von 10 Bürgermeistern kleinerer Städte und dem regionalen Bauernverband unterstützt wurde. Das Endziel der Protestwelle ist Berlin, wo in einigen Wochen eine große Beteiligung erwartet wird.
Die Aktion in Grimma wurde von Dachdeckermeister Johannes Heine unter dem Titel „Energie statt Ideologie“ angemeldet. Das Motto greift die Nöte und Ängste breiter Bevölkerungsschichten aufgrund der Energiekrise und des Krieges in der Ukraine auf. Bürgermeister Matthias Berger sieht darin die Chance, daß die Bürgerinnen und Bürger endlich politisch werden und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, statt es den politischen Rändern zu überlassen.
Nicht zufällig liegen die Hochburgen der Protestwelle in Ostdeutschland, wo Ende 1989 die Montagsdemonstrationen von Hunderttausenden, insbesondere in Leipzig, das politische Regime der DDR zu Fall brachten. Die Menschen im Osten sind in den vergangenen Jahrzehnten weitaus rebellischer geblieben als die Deutschen im Westen. Nun könnten sie erneut an der Spitze eines tiefgreifenden Wandels in der politischen Geschichte Deutschlands stehen…