Französische Diplomatie: Macron testet Neutralitätsstatus für die Ukraine

Wladimir Putins Entscheidung vom 17.12., über die Köpfe der europäischen Regierungen hinweg direkt mit den USA über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa zu verhandeln, war großenteils dadurch motiviert, daß Frankreich und Deutschland unfähig waren, die ukrainische Regierung zur Umsetzung des Minsker Abkommens zu bewegen. Der positive Effekt war, daß die Europäer, insbesondere Emmanuel Macron und Olaf Scholz, zu einer aktiveren Rolle in den Gesprächen über eine Sicherheitsarchitektur gedrängt wurden. Nach dem Ausscheiden Angela Merkels besaß nur Macron die nötige Statur und das persönliche Verhältnis zu Putin, um diese Aufgabe zu übernehmen. Zudem hat er seit dem 1.1. die rotierende Präsidentschaft des Europäischen Rates inne.

Weniger als drei Monate vor der Präsidentschaftswahl sieht Macron in dieser Rolle auch eine wichtige Flanke, um seine Wiederwahl zu sichern – zumal seine Hauptkonkurrenten (Marine Le Pen, Eric Zemmour, Jean-Luc Mélenchon) und die Kandidaten der kleinen „souveränistischen Parteien“ eine Zusammenarbeit mit Rußland sowie Frankreichs Rückzug aus dem integrierten NATO-Kommando fordern und Valérie Pécresse von Sarkozys Mitte-Rechts-Partei Les Républicains eine gesamteuropäische Sicherheitskonferenz „vom Atlantik bis zum Ural“ befürwortete.

Trotz vieler Spekulationen und des Psychokriegs der Medien öffnete Macrons Treffen mit Putin am 7.2., das fast sechs Stunden dauerte, die Tür zu Verhandlungen. Auf der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz nannte der russische Präsident das Treffen „nützlich, substantiell und geschäftsmäßig“. Er sagte, einige von Macrons Ideen könnten eine Grundlage für weitere gemeinsame Schritte bilden.

Die meisten dieser Ideen sind noch geheim, doch im Flugzeug nach Moskau hatte Macron eine enthüllt: einen möglichen Neutralitätsstatus für die Ukraine. Dieses Thema hatte auch Ex-Außenminister Hubert Védrine, der Macrons Initiative unterstützt, in einem Interview mit Journal du Dimanche am 6.2. aufgegriffen. Er plädierte für einen harten Dialog mit Rußland, der aber zu echten Zugeständnissen auf beiden Seiten führt, und bedauerte, „daß der Westen aus schlichtem Manichäismus oder Arroganz diese Notwendigkeit eines strategischen Dialogs mit Rußland völlig verworfen hat, weil er glaubte, er habe gesiegt“.

Auf die Frage, ob eine „Finnlandisierung der Ukraine“ ein Tabu sei, antwortete Védrine, dies sei nicht der Fall. „Warum sonst würde eine so angesehene Person wie Henry Kissinger vor nicht mehr als zwei Monaten wieder von einer Finnlandisierung der Ukraine sprechen?“ Sogar der bekanntlich antirussische Zbigniew Brzezinski habe „einen Status der garantierten Neutralität“ für die Ukraine vorgeschlagen.

Eine solche Perspektive ist nicht nach dem Geschmack des Empire und seines Außenministeriums. So warf die Daily Mail Macron am 8.2. vor, „Herrn Putin Angebote zu machen, die von Frankreichs NATO-Partnern, einschließlich Großbritannien, nicht gebilligt wurden“, u.a. ein Neutralitätsstatus für die Ukraine. Eine Quelle sagte der Mail, der französische Präsident „macht sein eigenes Ding. Wir wissen nicht, was passiert. Er ist über die NATO-Position hinausgegangen.“

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