„Entwicklungsdynamik“ wird die Debatten der UN-Vollversammlung dominieren

Die diesjährige UN-Vollversammlung vom 19.-26.9. dürfte weniger eintönig verlaufen als frühere. Staats- und Regierungschefs aus über 140 Ländern wollen teilnehmen, auch wenn die Präsidenten Xi, Putin und Macron sowie der britische Premier Sunak – also die Spitzen von vier der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder – nicht da sein werden. Interessanter als die kurzen Reden der verschiedenen Länder werden die privaten Treffen am Rande der Versammlung sein.

Am Eröffnungstag hielt Präsident Biden seine übliche Tirade gegen die „Autokratien“, die die „Demokratien“ bedrohen, und forderte mehr Waffen für die Ukraine und mehr Krieg, um Rußland zu besiegen, was der ukrainische Präsident Selenskyj, der erstmals in New York anwesend war, voll unterstützte. Biden forderte auch eine „Risikominderung“ gegenüber China.

Als erster hatte jedoch der brasilianische Präsident Lula da Silva den Ton gesetzt und erklärt, daß die Ungleichheit und die mit dem Neoliberalismus verbundene Ungerechtigkeit bekämpft werden müßten. („Die Welt wird immer ungleicher; die 10 reichsten Milliardäre verfügen über mehr Vermögen als die ärmsten 40% der Menschheit“). Indirekt demontierte er die Behauptungen Washingtons und Londons, die Freiheit zu verteidigen, und lehnte die strafrechtliche Verfolgung von Julian Assange ab.

Es wird erwartet, daß auch viele andere Redner aus dem Globalen Süden der Forderung nach wirtschaftlicher Entwicklung und einer gerechteren Weltordnung Ausdruck verleihen werden, ähnlich wie auf den Konferenzen der letzten Monate, vom Rußland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg (27.-28.7.) über den BRICS- und BRICS-Plus-Gipfel in Johannesburg (22.-24. 8.) bis hin zum G20-Gipfel in Delhi (9.-10.9.) und dem soeben beendeten Gipfeltreffen der Gruppe der 77+China in Havanna (15.-16.9., s.u.).

Praktisch alle Redner auf letzterem Forum prangerten die 6 Jahrzehnte andauernden Wirtschaftsblockaden und Sanktionen der USA gegen Kuba an und forderten ihre Aufhebung. In einer sinnlosen Machtdemonstration hatte die Regierung Biden nur 2 Tage zuvor das seit 1962 geltende brutale Embargo gegen die Insel ein Jahr verlängert. Innerhalb von 24 Stunden verhängte Washington Dutzende neue Sanktionen gegen Einrichtungen und Einzelpersonen im Iran, der Türkei, Georgien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie gegen Rußland. Einen Tag, nachdem Präsident Putin bekräftigt hatte, daß Rußlands Priorität für das 21. Jahrhundert die Entwicklung des Fernen Ostens und Nordens sei (s.u.), betonte US-Außenminister Tony Blinken, daß die 150 neuen Strafmaßnahmen ausdrücklich „diejenigen treffen, die für die Stärkung der zukünftigen Energieproduktion Rußlands verantwortlich sind“.

Auch Europa steckt voll und ganz im „Sanktionswahn“. Am 15.9. kündigten Deutschland, Frankreich und Großbritannien an, daß sie die am 18.10. auslaufenden Sanktionen gegen den Iran verlängern werden, weil das Land ballistische Raketen getestet und Rußland Drohnen für den Kampf gegen die Ukraine geliefert habe – was Teheran zurückweist. Was die „Bestrafung“ Rußlands anbelangt, so verbieten die von der EU-Kommission beschlossenen neuen Sanktionen laut Iwan Timofejew sogar die Einfuhr von Gegenständen für den persönlichen Gebrauch russischer Bürger, wie z.B. ein Auto, ein Telefon oder eine Kamera und sogar Seife!

Doch trotz all dieser Manöver wird es dem Westen nicht gelingen, seine „regelbasierte Ordnung“ durchzusetzen, so sehr er es auch versuchen mag. Die einzige vernünftige Alternative besteht darin, sich der wachsenden globalen Dynamik für Wachstum und Zusammenarbeit anzuschließen.

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