Die Schweiz am Scheideweg in der Neutralitätsfrage

Die Neutralitätsinitiative der Gruppe Pro Schweiz und der Schweizerischen Volkspartei (SPP) hat ein Volksbegehren für die Wiederherstellung der strikten Neutralität des Landes eingereicht. Die Zahl der in relativ kurzer Zeit gesammelten Unterschriften (bisher 133.000 bestätigte plus viele weitere) belegt die große Unterstützung für die Initiative. Dies bestätigt auch eine Umfrage der Credit Suisse unter Schweizer Managern, von denen 75% angaben, daß „es im Interesse unseres Unternehmens liegt, daß die Schweiz neutral bleibt“.

Das Thema wurde besonders aktuell, nachdem die Schweiz zum ersten Mal seit Jahrhunderten mit ihrer Neutralitätspolitik brach, als sie die EU-Sanktionen gegen Rußland unterstützte. Früher genossen nicht nur Schweizer Unternehmen die Privilegien des Neutralitätsstatus, um in und mit jedem Land der Welt Geschäfte zu machen, auch die politischen Behörden konnten eine Vermittlerrolle spielen und in vielen Konflikten ein Forum für Verhandlungen bieten. Durch die Entscheidung, im Ukraine-Konflikt Partei zu ergreifen, ist dies nun gefährdet, weshalb die für Juni in Bürgenstock geplante „Friedenskonferenz“ scheitern wird. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte am 19.4. in einem Interview, die Schweiz habe sich von einem neutralen zu einem „offen feindseligen Land“ entwickelt und sei daher für Friedensverhandlungen zur Ukraine nicht geeignet.

Es bleibt zu hoffen, daß die Schweizer Politiker ihre Fehler einsehen und ihre Pro-EU- und Pro-NATO-Position aufgeben, ohne das Referendum von Pro Schweiz abzuwarten, was nach den üblichen Verfahren noch bis zu zwei Jahre dauern kann. Allerdings wird auch diese Initiative nicht ausreichen, um die Schweizer Interessen wie in der Vergangenheit zu schützen. Im Kalten Krieg konnten Schweizer Unternehmen noch unter dem Schutz des Völkerrechts Beziehungen zu Staaten beider Lager aufbauen, doch heute ist dieses Recht durch die „regelbasierte Ordnung“ ersetzt worden, die die Neutralität eines Landes nicht respektiert.

Der Historiker Pierre-Yves Donzé sagte hierzu der Neue Zürcher Zeitung (NZZ), während des Kalten Krieges seien „die Neutralität, die guten Dienste und die humanitäre Hilfe für die Schweizer Unternehmen“ wichtig gewesen, „weil die Schweiz ein kleines Land war“. Heute hingegen helfe die Neutralität nicht mehr, wenn es um den wachsenden Konflikt zwischen den USA und China oder den USA und Rußland gehe.

Donzé erinnert an einen Fall aus den 1950er Jahren: Nestlé konnte seine Gewinne nicht aus Japan transferieren, weil Tokio Kapitalkontrollen einführte. Die Schweizer Regierung sprang ein und traf eine Vereinbarung, nach der Nestlé seine Gewinne in Yen an die Schweizer Botschaft in Tokio überwies und den entsprechenden Betrag in Schweizer Franken in der Schweiz erhielt. „Wenn Schweizer Unternehmen heute etwas ähnliches mit Rußland machen würden, gäbe es starke internationale Proteste… Druck kann effektiver sein, wenn er verlangt, daß sich ein Unternehmen für eine der beiden Seiten entscheidet.“

Deshalb hat die Schweiz ein fundamentales Interesse daran, die Forderung des Schiller-Instituts nach einer neuen globalen Sicherheits- und Wirtschaftsarchitektur zu unterstützen.

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