Die Kriegspartei will erzielte Fortschritte rückgängig machen

Die Rußlandfeinde im Westen müssen schockiert und bestürzt gewesen sein, als sie hörten, daß in der „Gemeinsame Erklärung des Präsidenten zur strategischen Stabilität“ von Biden und Putin nach ihrem Gipfeltreffen erklärt wird: „Heute bekräftigen wir das Prinzip, daß ein Atomkrieg nicht zu gewinnen ist und niemals geführt werden darf.“ Das ist eine klare und rationale Absage an die vielen strategischen Papiere, die im Pentagon, im NATO-Hauptquartier und in Denkfabriken über die Möglichkeit kursieren, einen „begrenzten Atomkrieg“ zu führen – und ihn zu gewinnen. Die Erklärung beinhaltet auch eine Vereinbarung zur Einrichtung eines bilateralen strategischen Stabilitätsdialogs, um an der Lösung offener Fragen zu arbeiten.

Zu den weiteren positiven Entwicklungen des Gipfels vom 16. Juni gehören die Rückkehr der Botschafter beider Länder, die im März abberufen worden waren, nachdem Biden Putin als „Killer“ bezeichnet hatte, sowie Bidens Verweis auf das Minsker Protokoll, was die Aussicht auf eine Wiederbelebung der Diplomatie zur Lösung der Spannungen um die Ukraine andeutet. Beide Staatschefs einigten sich auch darauf, „Konsultationen über Cybersicherheit“ zu beginnen, was als Zugeständnis der US-Seite gesehen wird, nachdem Putin vehement bestritten hatte, daß Rußland für wiederholte Cyber-Angriffe auf die US-Infrastruktur verantwortlich sei. In getrennten Pressekonferenzen gaben beide Präsidenten vorsichtige Einschätzungen ihres Engagements ab.

Die Reaktion der Kriegspartei, die von den US-amerikanischen und britischen Mainstream-Medien auf diese Entwicklungen vertreten wird, zeigt ihre Absicht, die erreichten zerbrechlichen Fortschritte zu untergraben. Präsident Biden wird vorgeworfen, gegenüber seinem russischen Amtskollegen „zu weich“ zu sein (wenn auch nicht annähernd so stark, wie Donald Trump nach seinem Gipfel mit Putin in Helsinki im Juli 2018 verunglimpft wurde).

Der Economist, der im Namen der Monetaristen der City of London spricht, behauptete, Putin brauche eine Form der Entspannung mit Amerika, „damit er sich auf die dringendere Aufgabe konzentrieren kann, Dissens zu unterdrücken und sein Imperium wieder aufzubauen.“ Der Artikel beschreibt Putin als Führer eines kleptokratischen Regimes, „das von gewalttätigen Sicherheitsdiensten beherrscht wird, … das sich mehr um Reichtum als um Ideologie kümmert und eher mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist als mit einem globalen Wettbewerb mit Amerika, geschweige denn mit den Interessen des russischen Volkes.“

Offenbar als Reaktion auf diesen Vorstoß äußerte Biden noch auf dem Rückflug von Genf nach Washington eine weniger optimistische Einschätzung des Treffens. Am 20. Juni gab dann der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan bekannt, es werde ein neues Paket von Sanktionen gegen Rußland wegen der Nawalny-Affäre und wegen des Nord-Stream-2-Projekts vorbereitet.

Insgesamt sind die Biden-Putin-Gespräche keineswegs eine Garantie für den Beginn einer friedlichen Zusammenarbeit, das würde einen sauberen Bruch mit der Geopolitik erfordern. Aber sie sind ein Schritt zurück vom drohenden Sturz über die Klippe in einen unvermeidlichen Krieg. Zudem verkündete Sullivan nur wenige Tage nach dem Gipfel, daß es Pläne für ein ähnliches Treffen zwischen Biden und Chinas Präsident Xi Jinping gebe. Der „Baby-Schritt“, der beim Genfer Gipfel erreicht wurde, hat also die Tür für weitere diplomatische Fortschritte geöffnet.

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