Die EU hat keinen „Friedensplan“ für die Ukraine

Haben die Regierungschefs Frankreichs, Deutschlands und Italiens bei ihrer Mission in Kiew am 16.6. wirklich Präsident Selenskyj inoffiziell zu Verhandlungen mit Rußland überredet, wie Die Welt am nächsten Tag schrieb? Öffentlich warben die drei dafür, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu geben, doch hinter verschlossenen Türen hätten sie Selenskyj wahrscheinlich überredet, sich mit Präsident Putin an den Verhandlungstisch zu setzen, behauptet die Zeitung. Die Frage ist: Verhandeln worüber?

Bemerkenswert ist, daß in den letzten Tagen einige westliche Medien (neben denen, die weiter ständig wiederholen, daß die Russen verlieren) zu nüchternen Berichten über die Lage vor Ort übergegangen sind: daß Kiews Streitkräfte auf dem Weg zum Zusammenbruch sind, daß Rußland einen Feuerkraftvorteil von 10 oder sogar 15:1 hat, daß die vom Westen versprochenen Waffenlieferungen zu spät eintreffen werden, um noch etwas zu ändern, usw.

Man sollte auch bedenken, daß Macron, Scholz und Draghi nicht mehr darauf zählen können, daß eine Mehrheit ihre Ukraine-Politik „Sanktionen plus Waffen“ unterstützt. Am deutlichsten wird dies in Frankreich, wo Macron in der zweiten Runde der Parlamentswahlen eine schwere Niederlage erlitt (s.o.), aber auch in Italien, wo Draghis Koalition in der Frage gespalten ist. Da die Sanktionen im Herbst und Winter in ganz Europa wie ein harter Bumerang wirken werden, wird die Unterstützung der Bevölkerung für die Regierungen mit Sicherheit schnell weiter abnehmen.

Vor diesem Hintergrund erklärten sie Selenskyj höchstwahrscheinlich, daß ein Waffenstillstand sinnvoll wäre, auch wenn sie vielleicht statt direkt „Der Krieg ist verloren“ nur vorsichtig formulierten: „Der Krieg ist im Moment nicht zu gewinnen.“ Und der EU-Kandidatenstatus, den sie der Ukraine anbieten, wird zwar im Westen als weitere Provokation Rußlands hochgespielt, wird aber praktisch wahrscheinlich wenig ändern. Selbst wenn diejenigen EU-Regierungen, die sich dagegen sträuben, ihre Haltung umkehren sollten, kann die Erlangung einer Vollmitgliedschaft sich viele Jahre hinziehen. (Außerdem würde es die Ukraine, wie Präsident Putin betonte, wahrscheinlich zu einer Art Halbkolonie der EU machen.)

Unterdessen bewirkt die Doppelstrategie mit Sanktionen gegen Rußland und Waffenlieferungen an die Ukraine, die Scholz vor den Fernsehkameras in Kiew bekräftigte, nur eine Verlängerung der Kämpfe.

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