Brasilien: Lula hat gewonnen, aber wird London ihm erlauben, zu regieren?

„Sie wollten mich lebendig zu begraben, aber jetzt bin ich hier“, sagte Lula da Silva der riesigen Menschenmenge, die sich am Sonntagabend in Sao Paulo versammelte, nachdem offiziell bekanntgegeben worden war, daß er den amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen mit 50,9% zu 49,1% besiegt hatte. Der zweimalige Ex-Präsident (2003-10) war 2018 wegen offenkundig falscher Korruptionsvorwürfe von den anglo-amerikanischen Interessen, die Brasiliens „Anti-Korruptions-Operation“ (Lava Jato) leiten, angeklagt und inhaftiert worden. Im März 2021 kam er frei, nachdem der Oberste Gerichtshof die Anklagen verworfen hatte.

Lulas Sieg hat große Auswirkungen auf die Rolle Brasiliens in der Welt zu diesem historischen Zeitpunkt – sowohl als Mitglied der BRICS-Gruppe, die nun ein strategischer Faktor im Kampf für eine neue internationale Wirtschaftsarchitektur ist, als auch für die regionale Integration Iberoamerikas unter dem sich entwickelnden neuen Paradigmas. Brasilien war zwar unter Bolsonaro nicht formell aus der BRICS ausgetreten, hatte aber deren Bedeutung herabgestuft. Dafür trat Brasilien aus der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) und der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) aus, was für letztere das Ende bedeutete.

Im Gegensatz dazu traf der designierte Präsident Lula gleich am nächsten Morgen mit dem argentinischen Präsidenten Alberto Fernández in Sao Paulo zusammen. „Wir haben mehr über die Zukunft als über die Vergangenheit gesprochen“, berichtete Fernández hinterher, u.a. über die Absicht Argentiniens, den BRICS beizutreten, und darüber, wie er seine Bemühungen mit dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador um die Wiedereinigung des Kontinents vorantreiben kann. Nach einem 90-minütigen Gespräch unter vier Augen trafen sich Beamte und Berater beider Länder zu einem Arbeitsessen. Interessanterweise berichtete die argentinische Zeitung Infobae, daß dabei die mögliche Einführung einer gemeinsamen Währung für den Handel zwischen den südamerikanischen Ländern erörtert werden sollte.

Allerdings verschafft der knappe Wahlausgang der anglo-amerikanischen Achse die Gelegenheit, in diesem entscheidenden Moment eine Operation zur Destabilisierung Brasiliens zu starten, damit Lula in einem polarisierten und gespaltenen Land nicht regieren kann. Während er die Glückwünsche der Staatsoberhäupter von Indien, Rußland, China, Frankreich, Großbritannien, den USA und vielen iberoamerikanischen Staaten entgegennahm, gab der scheidende Präsident Bolsonaro die Wahl erst nach fast 48 Stunden auf.

Unterdessen behaupteten Bolsonaro-Anhänger, Lulas Sieg sei auf Wahlbetrug zurückzuführen. Lastwagenfahrer und Agrar-Interessenvertreter starteten eine Operation, um Brasilien „lahmzulegen“, indem sie Autobahnen blockierten, und einige Demonstranten und viele Webseiten in sozialen Medien forderten ein militärisches Eingreifen gegen den „Betrug“. Die Lage ist immer noch sehr gespannt, und die Vertreter der Interessen der Londoner City sind aktiviert.

Die Absicht, Chaos zu schüren, zeigt vielleicht am besten der Fall des berüchtigten Steve Bannon aus den USA, der seit langem mit einem von Bolsonaros Söhnen befreundet ist. Er hatte nach der ersten Wahlrunde am 2.10. erklärt, eine Niederlage Bolsonaros sei „mathematisch unmöglich“, und nach der zweiten Runde betonte er: „Bolsonaro darf nicht nachgeben.“

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