„Weltuntergangskult“ gegen Gewerkschaften: Konfrontation in Großbritannien spitzt sich zu

Angesichts zweistelliger Inflationsraten und ausufernder Lebenshaltungskosten steht das Vereinigte Königreich vor einem sehr heißen Herbst, mit einer Regierung, die einige Investoren schon einen „Weltuntergangskult“ nennen. Am 23.9. verkündeten Schatzkanzler Kwasi Kwarteng und Premierministerin Liz Truss den „Mini-Haushalt“ der Regierung. Er enthält eine Steuersenkung für Reiche, die 45 Mrd. Pfund an Staatseinnahmen kostet, und ein Energieprogramm, das die Energiekonzerne entlastet, während in den nächsten fünf Jahren zusätzliche Kredite von 411 Mrd. Pfund aufgenommen werden sollen, um „Wachstum“ zu finanzieren. Wie der Energieplan, der nach optimistischer Schätzung der Regierung 60 Milliarden kostet, finanziert werden soll, wurde nicht gesagt.

Die Ankündigung ließ das Pfund fast auf Parität zum US-Dollar abstürzen (am 27.9. lag der Kurs bei 1,0552 zum Dollar). Viele in der City mutmaßen, daß es noch vor Jahresende erstmals unter die Parität fallen kann. Gleichzeitig stiegen die Renditen von Staatsanleihen so an wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr.

Paul Donovan von der UBS kommentierte in seinem Blog am 26.9.: „Die Renditen von Staatsanleihen fortgeschrittener Volkswirtschaften sollten nicht so stark ansteigen wie die britischen Gilt-Renditen. Das erinnert die Anleger auch daran, daß die moderne Politik Parteien hervorbringt, die extremer sind als der Konsens der Wähler oder der Anleger. Die Anleger neigen offenbar dazu, die britische Konservative Partei als Weltuntergangskult zu betrachten.“

Britischen Medien zufolge könnte die Bank von England mit einer weiteren Zinserhöhung intervenieren, über den vor knapp einer Woche festgesetzten Satz von 2,25% hinaus.

Die britischen Gewerkschaften wollen zusätzlich zu den umfangreichen Streikaktionen (s. SAS 38/22) eigene Vorschläge unterbreiten. Der Dachverband Trade Union Congress (TUC) fordert die Schaffung einer verstaatlichten Energiegesellschaft, die britischen Haushalten bis zu 4400 Pfund jährlich einsparen und der Regierung in den nächsten zwei Jahren Einnahmen zwischen 63 und 122 Mrd. Pfund bescheren könnte. In einem Bericht vom 24.9. schreibt der TUC, ein „öffentlicher Energiechampion“ könne emissionsarme Energieprojekte wie Wind-, Solar-, Gezeiten- und Kernkraftwerke besitzen. Die Überschüsse eines solchen öffentlichen Unternehmens nach dem Vorbild der französischen EDF könne man für billigere Versorgung und für die energieeffiziente Isolierung von Gebäuden einsetzen.

Die Studie zeigt, daß der komplett privatisierte Energiemarkt für höhere Verbraucherrechnungen, veraltete Energieinfrastruktur sowie Mangel an Arbeitskräften und Investitionen verantwortlich ist. Laut TUC-Generalsekretärin Frances O’Grady „hat die Privatisierung zu höheren Rechnungen und kälteren Wohnungen geführt. Wir brauchen einen gerechteren, umweltfreundlicheren Ansatz, der verhindert, daß Energieunternehmen britische Familien als Geldautomaten benutzen.“

Im Juli hatte der TUC vorgeschlagen, fünf der größten Energieunternehmen, darunter E.ON, EDF, Scottish Power und Ovo, zu verstaatlichen. Dies würde geschätzte Kosten von 2,85 Mrd. Pfund verursachen – weitaus billiger als die Rettung von Privatunternehmen.

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