Italien: Neue Regierung könnte für Überraschungen sorgen

Am 22.10. wurde die neue italienische Regierung vereidigt. Unter der Führung von Giorgia Meloni, der Vorsitzenden der Fratelli d’Italia (FdI), besteht die Koalition aus FdI, Lega, Forza Italia (FI) und den kleinen „Moderaten“. Oberflächlich betrachtet ist es eine pro-europäische, pro-atlantische Regierung, aber einige Paradoxien könnten Überraschungen bringen.

Da ist zunächst einmal der Außenminister und einer der beiden stellv. Ministerpräsidenten Antonio Tajani, ehemaliger Präsident des Europaparlaments und rechte Hand Silvio Berlusconis. Traditionell geht der Posten an einen Koalitionspartner, aber durchgesickerte Äußerungen Berlusconis vor der FI-Fraktion hatten Tajanis Eignung für das Amt ernsthaft in Frage gestellt. „Ich habe die Kontakte zu Putin wiederhergestellt“, sagte Berlusconi. „Zu meinem Geburtstag schickte er mir 20 Flaschen Wodka und einen ganz lieben Brief. Ich antwortete mit Lambrusco-Flaschen und einem ebenso lieben Brief. Ich habe ihn als einen vernünftigen Menschen und Mann des Friedens kennengelernt.“

Berlusconi zeigte sich „sehr, sehr besorgt“ über Italiens Waffen- und Geldlieferungen an die Ukraine. Seine Äußerungen erhielten Beifall von der gesamten Fraktion.

Für Meloni, die sich zuletzt mit einer aggressiven Haltung gegenüber Rußland und China hervortat, um Washington, London und Brüssel zu besänftigen, drohten solche Äußerungen ihre Bemühungen zu torpedieren. Man erwartete, daß Staatspräsident Mattarella sein Veto gegen Tajani einlegt, aber er tat es nicht. Auch wenn Melonis erstes Telefonat als Ministerpräsidentin mit Präsident Selenskyj war und Tajanis erste Äußerungen als Außenminister fast wie die Kriegsfraktion klangen, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, daß dieses Kabinett nach vielen Regierungen voller ungewählter Technokraten aus gewählten Volksvertretern besteht. Das Wirtschaftsministerium ging an Giancarlo Giorgetti, Nummer Zwei der Lega. Leider vertritt er die Fraktion der freien Marktwirtschaft in der Partei und ist für ihre Unterstützung der Regierung Draghi verantwortlich, die der Lega ein katastrophales Wahlergebnis eintrug. Aber er wird im Kabinett unter Lega-Chef Matteo Salvini arbeiten, der zweiter stellv. Ministerpräsident wird.

Salvini hat auch das Ressort Infrastruktur, was eine gute Nachricht ist. Er und der neue Minister für die Entwicklung des Mezzogiorno, Nello Musumeci, befürworten den Bau der Messina-Brücke und allgemein den Ausbau der Infrastruktur in Süditalien.

Ein weiterer interessanter Wechsel ist der neue Minister für Umwelt und Energiesicherheit, Gilberto Pichetto Fratin (FI), der gegen den EU-Plan „Fit for 55“ ist. Das Verteidigungsministerium geht an Guido Crosetto, einen Ex-Abgeordneten, der den Verband der Luft- und Raumfahrt- und Rüstungsindustrie leitet und die Pro-NATO-Fraktion vertritt.

Die neue Regierung wurde unter einem Damoklesschwert vereidigt, weil die Koalition (ähnlich wie Liz Truss) Steuersenkungen sowie zusätzliche Ausgaben zur Unterstützung von Unternehmen und Haushalten in der Energiekrise befürwortet, was einen Ansturm auf die Staatsschulden auslösen und die Regierung zur Geisel der EZB machen könnte. Die eigentliche Herausforderung für Rom ist jedoch, der Erosion des Lebensstandards entgegenzuwirken und die zunehmenden sozialen Proteste zu bewältigen.

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