Indischer Außenminister an Europa: „Eurozentrismus“ ist tot

Indiens Außenminister, Dr. Subrahmanyam Jaishankar, richtete am 3.6. in seiner Rede vor dem GLOBESEC 2022 Forum in Bratislava im Rahmen seiner viertägigen Reise in die Slowakei und die Tschechische Republik deutliche Worte an Europa. Er verteidigte die außenpolitischen Entscheidungen seines Landes und verwarf die von den Europäern und den USA sehr undiplomatisch vertretene Auffassung, Indien müsse sich für eine „Machtachse“ entscheiden – entweder Europa/USA oder Rußland/China. Indien habe als fünft- oder sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt seine eigenen Interessen und könne seine eigenen Entscheidungen treffen.

Einem Fragesteller antwortete er in der Diskussion: „Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, daß Indien sich irgendeiner Achse anschließt. Indien hat das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, die ein Gleichgewicht zwischen seinen Werten und Interessen darstellen. Ich sitze nicht zwischen zwei Stühlen, nur weil ich nicht mit Ihnen übereinstimme. Es bedeutet, daß ich auf meinem eigenen Boden sitze.“

Jaishankar war schonungslos gegenüber Europa: „Außerhalb Europas passiert eine Menge. Es gibt so viele humanitäre und Naturkatastrophen in unserem Teil der Welt, und viele Länder bitten Indien um Hilfe. Die Welt verändert sich und es kommen neue Akteure hinzu. Die Welt kann nicht mehr eurozentrisch sein. Europa muß aus der Denkweise herauswachsen, seine Probleme seien die Probleme der Welt, aber die Probleme der Welt nicht die Probleme Europas.“

Viele im Westen versuchten, Indien unter Druck zu setzen, indem sie Parallelen zwischen dem aktuellen Konflikt in der Ukraine und den Streitigkeiten zwischen China und Indien ziehen, aber letztere seien schon viel älter, sagte er. „Die Chinesen brauchen also keinen Präzedenzfall irgendwo auf der Welt, wie man sich mit uns beschäftigt oder nicht, oder wie man mit uns Schwierigkeiten hat oder nicht. Ich halte das, offen gesagt, nicht für ein sehr kluges Argument, sondern für ein sehr eigennütziges.“ Die Beziehungen zu China seien zwar schwierig, aber „wir sind durchaus in der Lage, sie zu managen“.

Kritik an Delhis Position zur Ukraine konterte er mit einem Verweis auf die europäische Politik: „Wenn ich Europa als Ganzes nähme, das zu vielem, was zum Beispiel in Asien geschieht, auffallend schweigsam war, dann könnte man fragen: Warum sollte irgend jemand in Asien Europa überhaupt in einer Sache trauen?“

Zu einer Frage, ob Indien mit dem Kauf von russischem Öl „Putins Krieg in der Ukraine“ finanziere, wies er auf die Heuchelei des Westens hin. „Wenn die westlichen Länder, Europa und die USA, so besorgt sind, warum lassen sie dann nicht zu, daß iranisches Öl auf den Markt kommt, warum lassen sie nicht zu, daß venezolanisches Öl auf den Markt kommt?“ Er wies auch Behauptungen zurück, Indien habe ein Exportverbot für Weizen verhängt. Als Indien Weizen exportierte, „haben wir einen Ansturm auf unseren Weizen erlebt, der zum großen Teil von internationalen Händlern mit Sitz in Singapur und den Vereinigten Arabischen Emiraten ausging“. Ärmere Länder seien so verdrängt worden. „Unser guter Wille wurde für Spekulation ausgenutzt.

Wir werden Spekulanten keinen offenen Zugang zum indischen Markt gewähren, wie wir es bei den Impfstoffen gesehen haben. Das wollen wir bei Weizen auch nicht.“ Indien habe in diesem Jahr Weizen in 23 Länder exportiert.

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