Eine grüne Kanzlerkandidatin, die fest in der transatlantischen Geopolitik verwurzelt ist

Die Zeiten, in denen sich die deutschen Grünen gegen Establishment, Militarismus und die NATO stellten, sind längst vorbei. Aber falls noch Zweifel bestanden, mußte die Nominierung von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin der Partei sie zerstreuen. Wie wenig die Finanzelite ihre politische Ausrichtung fürchtet, brachte keine Geringere als die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, in einer Pressekonferenz am 23.4. zum Ausdruck. Auf die Unerfahrenheit der Grünen-Kandidatin angesprochen, lobte Lagarde sie überraschend als „eine junge Frau, die sich sehr für den Klima- und Umweltschutz engagiert“, was „auch für mich sehr wichtige Themen sind“.

In militärischen Fragen dürfte Baerbock nicht weniger konform sein. Sie befürwortet nicht nur höhere Verteidigungsausgaben, um Soldaten mit besseren Waffen und Material für „humanitäre“ Einsätze auszustatten, sie kritisierte auch, daß Europa nicht rechtzeitig in Syrien eingegriffen habe, um angebliche spätere Grausamkeiten der Regierung zu verhindern.

Strategisch ist Baerbock gegen die neue Gaspipeline zwischen Rußland und Deutschland (bzw. Europa), sie erklärt, das Projekt sei ein Affront gegen die Ukraine und erhöhe die Energieabhängigkeit von Rußland (und von Erdgas). „Ich hätte schon längst Nord Stream 2 die politische Unterstützung entzogen“, sagte sie in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 25.4., in dem sie auch dazu aufrief, wegen der Krise in der Ukraine und im Donbaß „den Druck auf Rußland zu erhöhen“.

Die deutschen und europäischen Beziehungen zu China be schreibt die Grünen-Chefin in dem Interview als „Wettbewerb der Systeme“, von „autoritären Kräften versus liberale Demokratien“. Bei Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative geht es ihrer Ansicht nach nicht nur um schöne Investitionen, sondern um „knallharte Machtpolitik“. Und sie warf Peking vor, die uigurische Bevölkerung mit Zwangsarbeit zu unterdrücken.

Was die Beziehungen zur Biden-Administration angeht, so freut sie sich auf einen Neustart der amerikanisch-deutschen Allianz in Form einer „transatlantischen Klimapartnerschaft“. Implizit befürwortet sie eine europäische Armee und ruft dazu auf, eine Verteidigungs- und Sicherheitsunion voranzutreiben. Und obwohl sie ausdrücklich danach gefragt wurde, befürwortete sie nicht den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland…

Bei vielen anderen Gelegenheiten hat Annalena Baerbock ihre Klimaschutzziele dargelegt. Bei der Industrieproduktion plädiert sie dafür, das offizielle Ausstiegsdatum für Kohle von 2038 auf 2030 und für Autos ohne Elektromotor auf 2030 vorzuverlegen. Natürlich befürwortet sie „grünen Stahl“, der statt mit Kohle mit erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind produziert wird; dies biete Deutschland Exportchancen nach Europa und verhindere, daß das „autoritäre“ China den Markt mit seinem Stahl überschwemmt.

Wenn man weiß, daß Baerbock vor 16 Jahren als Austauschstudentin an der London School of Economics in internationalem Recht ausgebildet wurde, versteht man ihren Hang zur knallharten Geopolitik besser.

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