Werden sich die Pragmatiker in Berlin gegen die Konfrontationisten durchsetzen?

Die neue Nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands, die am 15.6. in Berlin vorgestellt wurde, zielt erwartungsgemäß auf Rußland als Hauptgegner ab: „Das heutige Rußland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum. Rußlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein eklatanter Bruch mit der Charta der Vereinten Nationen und der kooperativen europäischen Sicherheitsordnung.“ Rußland „bedroht unsere Sicherheit und die unserer Verbündeten in NATO und EU direkt… Es versucht gezielt, die demokratischen Gesellschaften Europas zu destabilisieren…“ (S. 22-23)

China gegenüber ist das Strategiedokument nicht so aggressiv, aber keineswegs freundlich: „China ist Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale.“ Dabei hätten die „Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs“ in den letzten Jahren zugenommen. „Regionale Stabilität und internationale Sicherheit werden zunehmend unter Druck gesetzt, Menschenrechte werden mißachtet. Seine Wirtschaftskraft setzt China gezielt ein, um politische Ziele zu erreichen.“ Jedoch wird hinzugefügt, daß China „ein Partner bleibt, ohne den sich viele globale Herausforderungen und Krisen nicht lösen lassen. Gerade auf diesen Feldern müssen wir daher die Möglichkeiten und Chancen für eine Zusammenarbeit nutzen.“ (S.23)

Anzumerken ist, daß eine neue China-Strategie unter der Schirmherrschaft des Außenministeriums separat ausgearbeitet wird. Sie soll einmal mehr zeigen, daß es in der Regierung eine doppelte Chinapolitik gibt: Der Kanzler will eine Eskalation vermeiden und eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China pflegen, während Außenministerin Baerbock eine Politik aggressiver Provokationen und Vorwürfe betreibt.

Die chinesische Führung ist sich dieses Problems bewußt, wie der Sprecher des Außenministeriums Wang Wenbin am 16.6. erklärte. Ein Dokument, das „andere als Wettbewerber, Rivalen oder sogar Gegner ansieht und aus einer normalen Zusammenarbeit Fragen von Sicherheit und Politik macht, wird unsere Welt nur in einen Strudel von Spaltung und Konfrontation treiben“, sagte er. Im Vorfeld der Reise von Ministerpräsident Li Qiang zu Regierungskonsultationen in Deutschland am 19.6. erklärte Wang jedoch, die Tatsache, daß dies Lis erste Station auf seiner ersten Auslandsreise im Amt ist, „zeigt, welche Bedeutung China seinen Beziehungen zu Deutschland beimißt. Der Mechanismus der Regierungskonsultationen, bei dem der chinesische Ministerpräsident und der deutsche Bundeskanzler gemeinsam den Vorsitz führen, ist ein ,Super-Motor‘ der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.“

Die chinesische Global Times schrieb zu Lis Berlin-Reise: „Deutschland strebt keine ,Abkopplung‘ von China an, was zeigt, daß Berlin im Umgang mit China pragmatisch und vorsichtig ist, auch wenn es unter Druck der USA steht.“

Print Friendly, PDF & Email