Ukraine: Eine Merkel-Option zur Wiederbelebung der Diplomatie?

Da in Europa kein ernsthaftes Engagement für diplomatische Bemühungen zur Beilegung des Krieges in der Ukraine – die zwangsläufig Gespräche mit Präsident Putin einschließen würden – sichtbar ist, wurde in Deutschland wiederholt eine mögliche Initiative der ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel ins Gespräch gebracht. Zwei Vorstöße in der vergangenen Woche brachten diese Diskussion wieder in Gang: ein längeres Special im Spiegel, das sich mit Merkels politischem Erbe befaßt, und ein Kommentar von Erich Vad, Merkels Nationalem Sicherheitsberater 2006-13, für die Schweizer Weltwoche.

Die ehemalige Bundeskanzlerin (2005-21) traf Putin während ihrer Amtszeit etwa 50 Mal. In der Spiegel-Story sagt Merkel dem Interviewer Alexander Osang, der russisch-ukrainische Krieg „kam nicht überraschend. Das Abkommen von Minsk war ausgehöhlt. Im Sommer 2021, nachdem sich die Präsidenten Biden und Putin getroffen hatten, wollte ich mit Emmanuel Macron im EU-Rat noch mal ein eigenständiges europäisches Gesprächsformat mit Putin herstellen. Von einigen gab es Widerspruch dazu, und ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen, weil ja alle wußten: Die ist im Herbst weg.“ Hätte sie bei der Bundestagswahl 2021 im September für die Wiederwahl kandidiert, „hätte ich da weitergebohrt“.

Sie betonte auch, sie habe auf dem Bukarester NATO-Gipfel 2008 die Kandidaturen von Georgien und der Ukraine blockiert, um Rußland nicht zu provozieren, ähnlich wie bei ihren diplomatischen Bemühungen 2014, um einen Krieg um die Krim zu verhindern. Auf die Frage, was sie heute als Vermittlerin täte, antwortet sie nur, daß sie weder von Kiew noch von der derzeitigen deutschen Regierung ein solches Mandat erhalten habe. Sie telefoniere aber öfter mit Macron, verrät sie .

Obwohl er eine Merkel-Option nicht ausdrücklich erwähnt, deutet General a.D. Erich Vad in einem Weltwoche-Kommentar in dieselbe Richtung für Diplomatie: „Wir erleben eine militärische Patt-Situation. Ein länger dauernder Abnutzungskrieg zeichnet sich ab, auf einer fast 1000 Kilometer langen Frontlinie. Die Ukrainer können punktuelle Gewinne erzielen, weil sie die Aufklärungs- und Zieldaten von den westlichen Ländern zur Verfügung haben. Aber eben nur punktuell, nicht nachhaltig. Meine Lagebeurteilung teilt General Mark Milley, der US-Generalstabschef. Auch er befindet, daß dieser Krieg militärisch nicht entschieden werden kann. Deshalb müssen wir sehen, wie wir anderweitig rauskommen. Mit Verhandlungen.“

Vad beharrt auf einer realistischen Ausrichtung solcher Verhandlungen:

„Kapitulieren wird und kann Rußland nicht mit Blick auf die vitale strategische Relevanz der Krim und des Donbaß… Es ist daher illusorisch, den Donbaß und die Krim mit einer ukrainischen Großoffensive befreien zu wollen.“

Sinnvoller sei es, den Konflikt mit einer völkerrechtlich anerkannten Demarkationslinie und Waffenstillstandsregelungen so schnell wie möglich einzufrieren. Er äußert einen gewissen Optimismus: „Der US-Sicherheitsberater war kürzlich in Kiew. Zwischen Moskau und Washington gibt es zudem einen heißen Draht, auch die Generalstabs-Chefs sind verbunden. Das zeigt, daß man offenbar nicht bereit ist, den Konflikt zu einem dritten Weltkrieg ausarten zu lassen. Das will keiner.“