Sind alle diplomatischen Brücken zwischen Europa und Rußland abgebrochen?
In einem Interview mit der neapolitanischen Tageszeitung Il Mattino vom 22.12. hat der Staatssekretär des Vatikan, Pietro Parolin, die Idee einer neuen europäischen Sicherheitsinfrastruktur nach dem Vorbild der historischen Konferenz von Helsinki 1975 aufgegriffen. Allerdings, so Parolin, „ist die Realität bitter: Weder die Angreifer noch die Angegriffenen sind derzeit bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.“ Dennoch müsse man alle Anstrengungen unternehmen, „warum nicht gemeinsam eine neue, große europäische Konferenz ins Leben rufen“.
Heute stelle sich die Frage: „Glaubt Europa noch an die Regeln, die es sich nach dem Zweiten Weltkrieg dank der Weitsicht seiner Gründerväter gegeben hat? … Diese Prinzipien und Regeln, die sich Europa am Ende des Konflikts gegeben hat, scheinen manchmal zu verschwimmen.“
Die von ihm erwähnte Mißachtung grundlegender Prinzipien sieht man deutlich an den jüngsten Äußerungen von Ex-Bundeskanzlerin Merkel und Ex-Präsident Hollande zu den Minsker Vereinbarungen von 2015, die Frankreich und Deutschland nach außen hin als „Schritt zum Frieden“ dargestellt hatten. Nun gaben beide zu, daß sie nie ehrlich vorhatten, sie umzusetzen, sondern nur der Ukraine Zeit verschaffen wollten, sich auf einen Krieg mit Rußland vorzubereiten (vgl. SAS 50/22).
Diese unverblümten Enthüllungen über die Doppelzüngigkeit der EU-Politik bestätigten die Überzeugung der russischen Führung, daß sie niemand in den westlichen Eliten vertrauen kann. Der Vizevorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitrij Medwedew, brachte dies in einem Exklusivbeitrag in Rossijskaja Gaseta vom 25.12. zum Ausdruck: „Es gibt im Westen niemand, mit dem wir etwas aushandeln können. … Normale Beziehungen mit dem Westen kann man auf Jahre oder sogar Jahrzehnte vergessen. Das ist nicht unsere Entscheidung. Nun, wir können ohne sie auskommen, bis dort eine neue Generation weiser Politiker an die Macht kommt. Wir werden vorsichtig und wachsam sein. Wir werden die Beziehungen zum Rest der Welt ausbauen, der sehr groß ist und normale Beziehungen zu uns unterhält.“
Auch Außenminister Lawrow erklärte am 27.12. gegenüber TASS, die Beziehungen zwischen Moskau und der EU seien „auf einem historischen Tiefstand“, daher habe Rußland alle Pläne für gemeinsame Initiativen aufgegeben. „Natürlich wird es kein business as usual mehr mit diesen Partnern geben. Wir haben weder die Absicht, an verschlossene Türen zu klopfen, noch gemeinsame Projekte zu initiieren. Glücklicherweise ist die Europäische Union nicht unser einziger Partner; wir haben viele Freunde und gleichgesinnte Kräfte in anderen Teilen der Welt.“
Nichtsdestotrotz gibt es Anzeichen dafür, daß der Kreml potentiell konstruktive Entwicklungen in Deutschland, dem für Moskau wichtigsten europäischen Land, sorgfältig prüfen wird. Es wurde sicherlich zur Kenntnis genommen, daß Bundeskanzler Olaf Scholz kurz vor Weihnachten intervenierte, um die Arbeit des Außenministeriums an einer neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“ zu stoppen, die nach Berliner Angaben die Beziehungen zu Rußland völlig kappen sollte. Moskau hat Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen als größten Störfaktor auf deutscher Seite ausgemacht. Es wird aber mehr als diese Intervention von Scholz brauchen, um in Zukunft wieder einen politischen und wirtschaftlichen Dialog aufzubauen.