Für Europa heißt es jetzt oder nie, das geopolitische Schachbrett umzuwerfen

Die letzte Woche markierte mit dem Beitritt von vier Regionen der Ukraine zur Russischen Föderation und der fast gleichzeitigen Sabotage der Nord-Stream-Pipelines einen entscheidenden Wendepunkt in der globalen strategischen Situation. Er könnte sich aber auch als Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den transatlantischen Mächten erweisen, wenn nachgewiesen wird, daß die USA und/oder andere NATO-Verbündete hinter den Angriffen auf die lebenswichtige Energieinfrastruktur der EU in der Ostsee stecken.

Präsident Putin betonte am 30.9. bei der feierlichen Unterzeichnung der Beitrittsverträge insbesondere, daß „der Zusammenbruch der westlichen Hegemonie unumkehrbar ist“ und daß sich eine neue Weltordnung abzeichnet (vgl. Auszüge aus der Rede unten). Bekanntlich sind jedoch viele Wahnsinnige im Westen bereit, einen Weltkrieg zu riskieren, um die alte Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die eskalierende Gefahr veranlaßte sogar die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, in die Öffentlichkeit zurückzukehren und eine nüchterne Warnung auszusprechen. Ausgehend von ihren eigenen zahlreichen Gesprächen mit Wladimir Putin warnte sie davor, seine Worte als bloßen „Bluff“ abzutun, wie es viele im Westen tun (vgl. SAS 39/22). Bei der Eröffnung der Helmut-Kohl-Stiftung am 27.9. erklärte sie, es sei keineswegs ein Zeichen von Schwäche oder Beschwichtigung, Worte ernst zu nehmen, sondern ein Zeichen von politischer Klugheit. Helmut Kohl hätte in dieser Situation die Ukraine geschützt, aber gleichzeitig darauf geachtet, wie man nach dem Ende des Konfliktes die Beziehungen zu Rußland neu entwickeln kann.

Die Europäische Kommission hingegen reagierte prompt auf die, wie sie es nannte, „Scheinreferenden“ und „Annexion“ der vier Regionen mit der Ankündigung einer weiteren (achten) Runde von Sanktionen gegen russische Personen und die Ausfuhr von Industriegütern nach Rußland. Gleiches gilt für das Weiße Haus, das gegen hunderte weitere Russen und Einwohner der vier Regionen Strafmaßnahmen verhängt.

Die USA und Albanien brachten eine Resolution im UN-Sicherheitsrat ein, welche die Ergebnisse der Referenden als ungültig verurteilt. Zehn der 15 Mitglieder unterstützten am 30.9. die Resolution, aber vier der wichtigsten Länder enthielten sich: China, Indien, Brasilien und Gabun. Rußland legte natürlich sein Veto ein. Washington will der UN-Vollversammlung eine ähnliche Resolution vorlegen.

Der ukrainische Präsident Selenskyj seinerseits beantragte einen „beschleunigten Beitritt“ der Ukraine zur NATO. Die Reaktion darauf war lau, auch aus Washington, und NATO-Generalsekretär Stoltenberg erklärte, das Thema stehe vorerst nicht auf der Tagesordnung. Weiter sagte er: „Wir konzentrieren uns jetzt auf die unmittelbare Unterstützung der Ukraine, um ihr zu helfen, sich gegen die brutale russische Invasion zu verteidigen“ – mit anderen Worten, die Ukrainer sollen weiter als Kanonenfutter in einem Krieg gegen Rußland dienen, den sie ohne die finanzielle und materielle Unterstützung der NATO niemals führen könnten.

Die Frage ist, ob die Hauptakteure in der EU die Realität erkennen werden, daß unter dem gegenwärtigen geopolitischen Paradigma auch Europa ein Untertan der anglo-amerikanischen Weltordnung bleiben soll.

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