EU kapituliert im Energiestreit

EU-Energiekommissarin: Der übernächste Winter wird noch schlimmer. Die EU-Energieminister trafen sich am 30.9., um Sofortmaßnahmen gegen die in die Höhe schießenden Energiepreise in Europa zu beschließen. Im Anschluß an das Treffen erklärte EU-Energiekommissarin Kadri Simson (Estland) gegenüber der Presse: „Die Minister waren besorgt, und ich bin es auch, daß dies kein einfacher Winter für uns sein wird, und der nächste Winter wird noch schwieriger werden.“

Sie erzielten keine Einigung über eine Deckelung der Großhandelspreise für Erdgas, was eine der Hauptforderungen einer Gruppe von 15 EU-Mitgliedstaaten an die Europäische Kommission vor dem Treffen gewesen war. Man einigte sich zwar auf einen Versuch, übermäßige Unternehmensgewinne mit fossilen Brennstoffen zu begrenzen, doch in einer Welt, in der die Spekulation auf dem freien Markt regiert, ist das im Grunde bedeutungslos.

Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, Österreich und die Niederlande, verweigerten die Zustimmung zu einer Preisobergrenze, und auch die Kommission warnte, ein solcher Schritt würde die Fähigkeit des Blocks schwächen, sich auf dem Weltmarkt seine Gasversorgung zu sichern. Österreichs Energieministerin Leonore Gewessler erklärte, ihre Regierung könne eine Preisobergrenze auf lebenswichtige Gasimporte nicht unterstützen. Allen EU-Staaten müsse klar sein, daß Österreich nach wie vor abhängig von Erdgasimporten aus Rußland sei, erklärte sie vor dem Treffen am 30.9. gegenüber Reportern. In keinem Vorschlag habe sie Garantien dafür gesehen, daß die Lieferanten Europa weiter ausreichend Gas liefern, wenn man nicht den geforderten Preis zahlt.

Der grüne deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck brachte dasselbe Argument vor und sagte seinen Kollegen in Brüssel, er fürchte, daß im Falle einer Preisobergrenze die Exporteure einfach die Lieferungen nach Europa einstellen.

Auch diesmal wurde die zentrale Frage der Schließung des Amsterdamer Terminmarktes für Erdgas (TTF) nicht angesprochen. Aber keine andere Maßnahme kann die Energiepreise wirklich unter Kontrolle bringen.

Berlin entscheidet sich für massiven „Bailout“. Die deutsche Regierung lehnt eine EU-weite Obergrenze für den Erdgaspreis klar ab, hat sich jedoch zu einem „Alleingang“ gegen die steigende Inflation entschlossen. Bundeskanzler Scholz kündigte am 29.9. ein riesiges Regierungspaket über 200 Mrd.€ an, um Haushalte und Unternehmen bei der Bezahlung ihrer Energierechnungen zu unterstützen. Kurz zuvor hatte schon die neue britische Regierung von Premierministerin Liz Truss einen Plan für eine massive staatliche Kreditaufnahme zur Subventionierung der Energiepreise angekündigt (vgl. SAS 39/22).

Diese neuen Formen der Quantitativen Lockerung werden jedoch nicht dazu führen, daß „die Preise sinken“, wie behauptet wird. Es bedeutet lediglich, daß der Staat im Namen der Unternehmen und Haushalte die überhöhten Energiepreise bezahlt und damit eine große Nachfrage schafft, die die Preise weiter steigen läßt. Das wiederum wird die verschiedenen Spekulationsfonds und letztlich die Banken zumindest vorübergehend stützen.

In anderen EU-Ländern, die nicht über die Geldmittel für ähnliche „Hilfspakete“ verfügen (oft genug, weil ihre Staatsfinanzen unter dem Diktat Brüssels vorsätzlich geplündert wurden), stößt der deutsche Plan auf großen Unmut. Sie beschweren sich darüber, daß sich Berlin nur um seine eigene Energiesicherheit kümmert.

Inflation in der Eurozone erreicht historischen Wert von 10%. Nach Angaben von Eurostat sind die Verbraucherpreise in der Eurozone im September im Vergleich zum Vorjahr um die Rekordmarke von 10% gestiegen. Im August lag die jährliche Inflationsrate bei 9,1%, vor einem Jahr waren es noch 3,4% gewesen. Spitzenreiter waren die Energiepreise mit einem Anstieg um 40,8% im September gegenüber dem Vorjahr, Nahrungsmittel, Alkohol und Tabakwaren legten um 11,8% zu.

In Deutschland stiegen die Preise um 10,9% und erreichten damit zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine zweistellige Rate, in den Niederlanden betrug der Anstieg im September sogar 17%. Die Hauptursache für den Preisanstieg waren die Energiepreise, doch ihre Inflation hatte schon lange vor dem Konflikt zwischen der NATO und Rußland in der Ukraine begonnen.

Die Europäische Zentralbank versucht mit Zinserhöhungen den Trend zu bremsen, was aber bisher nicht gelungen ist. Trotzdem soll noch in diesem Monat eine weitere Anhebung auf der Tagesordnung stehen.

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