Deutsche Militärexperten: Die Ukraine kann nicht gewinnen, wir müssen verhandeln

Im Zusammenhang mit der hitzigen Debatte über die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine sind drei Interviews mit hochrangigen deutschen Militärexperten aus den letzten zwei Wochen bemerkenswert.

Der renommierte Sicherheitsexperte Oberst a.D. Wolfgang Richter warnte in der Berliner Zeitung vom 12.3., eine Zerstörung strategischer Ziele wie Flugplätze und Munitionsdepots der russischen Nuklearstreitkräfte durch die Taurus könne zu einer Eskalation des Krieges führen, den die Ukraine nicht gewinnen kann. Die Waffenstillstandsgespräche in Istanbul im März 2022, die Kiew auf Anraten der westlichen Partner abbrach, hätten der Ukraine viel bessere Bedingungen geboten, als sie heute erwarten könne. Dazu gehörten die Neutralität der Ukraine, ein Sonderstatus für den Donbaß und die faktische Kontrolle der Krim durch Rußland; eine endgültige Klärung des Status sollte um 15 Jahre verschoben werden. Von „Entnazifizierung“ oder „Entmilitarisierung“ sei keine Rede gewesen, auch wenn die russische Seite Obergrenzen für die ukrainischen Streitkräfte anstrebte. Sogar der EU-Beitritt der Ukraine wurde für möglich erklärt.

Richter betont, in den USA sei die Debatte viel nüchterner als in Deutschland, wo Forderungen nach Verhandlungen als „Mission impossible“ oder gar Verrat diffamiert werden. Europa dürfe sich nicht von Hoffnungen und Wunschdenken leiten lassen.

Oberst a.D. Ralph Thiele, ehemaliger NATO-Stabsoffizier, wies in einem Interview mit der Schweizer Weltwoche vom 20.3. auf das Paradox hin, daß man heute in Deutschland als „Kriegstreiber“ denunziert wird, wenn man vom Frieden spricht, aber angeblich für den Frieden arbeitet, wenn man vom Krieg spricht. Der harte Kern der Pro-Taurus-Fraktion wolle den Krieg auf russisches Territorium ausweiten, was die Lage nicht umkehren könne, aber die Konfrontation eskalieren und radikalisieren würde. Anders als die deutsche Regierung würden die USA hinter den Kulissen mit Rußland reden.

General a.D. Harald Kujat wies die Vorstellung, die Ukraine könne die Russen zurückdrängen, wenn sie nur mehr Munition bekomme, als Unsinn zurück. Dem RBB-Radio sagte er am 21.3., was der Ukraine wirklich fehle, sei die Fähigkeit zu mobilen offensiven Kampfhandlungen. Das würden die Taurus ihr nicht verschaffen, aber Deutschland noch mehr in eine direkte Konfrontation mit den Russen hineinziehen. Wenn man Rußland zu stark provoziere, könnte es Atomwaffen einsetzen, daher sei eine Deeskalation durch Diplomatie erforderlich. Gen. Kujat, 2000-02 Generalinspekteur der Bundeswehr und 2002-05 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, kennt die militärischen Strukturen der beiden Kriegsparteien gut genug, um eine qualifizierte Einschätzung abzugeben.

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