Cum-Ex-Affäre holt die herrschende Klasse in Deutschland ein

Während immer mehr vor der De-Industrialisierung Deutschlands gewarnt wird, die sich im starken Rückgang der Automobil-, Bau- und Chemiebranche ausdrückt, wird zunehmend auch die zukünftige politische Stabilität des Landes in Frage gestellt. Die kontinuierlich sinkende Zustimmung zu fünf der sechs im Bundestag vertretenen Parteien und die gleichzeitig kontinuierlich steigende Zustimmung für die sechste Partei, die Alternative für Deutschland (AfD), sind ein Grund zur Sorge.

Eine neue Krise für die großen Parteien zeichnet sich nun im Zusammenhang mit der „Cum-Ex-Affäre“ ab, einem systematischen Steuerbetrug von Banken und Investmentfonds, mit dem der Staat von 2001-16 um bis zu 30 Mrd. Euro betrogen wurde. Auf Initiative der Staatsanwaltschaft Köln begann am 18.9. in Bonn der Prozeß gegen Christian Olearius von der Hamburger Warburg Bank. Ihm wird Kungelei mit Hamburger Politikern vorgeworfen, die ihn mit 45 Mio.€ nicht gezahlten Steuern davonkommen ließen. Der damalige Bürgermeister von Hamburg war kein Geringerer als der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz.

Scholz wurde bei verschiedenen Gelegenheiten vorgeladen und gefragt, ob er bei privaten Treffen mit Olearius über einen generellen Steuererlaß gesprochen habe, behauptete aber nur, er könne sich an den Inhalt der Gespräche nicht genau erinnern. Dies half Scholz, Probleme mit der Hamburger Staatsanwaltschaft zu vermeiden, nicht aber mit der Kölner Staatsanwaltschaft, die über Belastungsmaterial verfügt. Scholz wird sich also mehr Fragen zu seiner politischen Vergangenheit in Hamburg, bevor er 2017 Bundesfinanzminister wurde, stellen müssen. Und der Abwärtstrend seiner Partei, der SPD, wird sich mit den fortschreitenden Cum-Ex-Ermittlungen wahrscheinlich beschleunigen.

Scholz steht auch unter dem Druck der oppositionellen Christdemokraten (CDU-CSU), deren jüngster Antrag auf Einsetzung eines Cum-Ex-Untersuchungsausschusses im Bundestag von den drei Regierungsparteien (SPD, Grüne, FDP) abgelehnt wurde. Die CDU hat daraufhin das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil sie sich in ihren Rechten grob verletzt sieht.

Die Mobilisierung der CDU ist allerdings etwas rätselhaft, da ihr eigener Parteivorsitzender, Friedrich Merz, der zentrale Akteur bei der Umstrukturierung der Westdeutschen Landesbank nach 2009 war, die ebenfalls in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war. Merz hatte von 2010-20 eine führende Position bei der deutschen Niederlassung von BlackRock, deren Büros von den Behörden wegen ihrer Rolle im Cum-Ex-System durchsucht wurden. Merz behauptet, von den Machenschaften nichts gewußt zu haben.

Die Aussicht, daß die Spitzen von SPD und CDU in den Skandal hineingezogen werden, bedeutet eine erhebliche Destabilisierung Deutschlands, was ein ähnliches Szenario wie einst die „Sauberen Hände“ in Italien heraufbeschwören könnte.

Print Friendly, PDF & Email