Wird Jeremy Corbyn nächster britischer Premierminister?

Nach dem Referendum für den Brexit und der Wahl Donald Trumps in den USA war die Unterhauswahl in Großbritannien am 9.6., in der die Konservativen ihre Mehrheit verloren, das nächste politische Erdbeben. Das eigentliche Beben war dabei das außerordentlich starke Abschneiden der Labour Party unter Jeremy Corbyn.

Kommentatoren hatten vorausgesagt, daß die Partei hundert Sitze verlieren würde, tatsächlich aber gewann sie 47 hinzu und hatte mit 40% ihr bestes Ergebnis seit 1945. Premierministerin Theresa May hatte auf einen Erdrutschsieg gehofft, um „harte Verhandlungen“ über den Brexit mit der EU führen zu können, aber das Gegenteil trat ein. Gleichzeitig ist Corbyn nun der führende Anwärter auf den Sieg bei der nächsten Unterhauswahl, die noch in diesem Jahr stattfinden könnte. Es war auch ein persönlicher Sieg für den Labour-Chef, weil die etablierten Medien genauso wie die große Mehrheit der eigenen Abgeordneten, die zum Lager von Tony Blairs New Labour gehören, ihn massiv angegriffen und verunglimpft hatten. Aber nach dem Erfolg stehen jetzt alle in der Partei, auch die Blair-Jünger, einig hinter ihm.

Ein Erdbeben war es auch, weil mit der beispiellosen Mobilisierung der jungen Wähler, die der Partei zu dem Erfolg verhalfen, eine ganz neue politische Dynamik entfesselt wurde.

Britische Kommentatoren sprechen bereits vom Abschmelzen der gesamten neoliberalen ideologischen Grundlagen der Konservativen Partei, weil die Wahl eine klare Ablehnung von Austerität, Privatisierung und Globalisierung gezeigt habe.

Corbyns Labour ist mit den nachindustriellen sozialdemokratischen Parteien auf dem Kontinent nicht zu vergleichen. Seine Fraktion arbeitet eng mit den Gewerkschaften zusammen, und Corbyn selbst hat außerhalb der Partei eine Jugendbewegung namens Momentum organisiert, die auch unabhängig von Wahlen mobilisiert.

Das Manifest der Labour Party 2017 fordert 250 Mrd. Pfund Investitionen in Infrastruktur, ganz besonders im Verkehr, u.a. mit Hochgeschwindigkeitsbahnen, und eine Erneuerung der Industrie. Zwar werden auch erneuerbare und emissionsfreie Energien gefordert, aber auch die Kernenergie soll als wichtige saubere Energiequelle modernisiert und ausgebaut werden, und auch die herkömmlichen Energieträger, wie das Nordseeöl, sollen weiter genutzt werden. Eine „Nationale Investitionsbank“ soll Industrie und andere Unternehmen finanzieren. Corbyn selbst hat für eine strikte Glass-Steagall-Bankentrennung plädiert, im Programm ist allerdings nur von einem „starken Ringzaun“ zwischen Investment- und Geschäftsbankwesen die Rede.

Außenpolitisch setzt Corbyn auf mehr Zusammenarbeit mit Rußland und China, und er hat eine weitere Ausweitung der NATO ausdrücklich abgelehnt. Er erklärte auch, es wäre richtig und wichtig, wenn Präsident Trump und der russische Präsident Putin eine einvernehmliche Zusammenarbeit aufbauen. Alles in allem bedeutete eine Regierung Corbyns einen Bruch mit allen vorangegangenen Regierungen der letzten Zeit.

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